“Liebe”

“Liebe bot mir Willkomm, doch meine Seele schrak zurĂŒck,
In Schuld des Staubes, Schuld der SĂŒnde.
Sie aber, flinken Augs merksam, wie ich trÀg
Den Fuß kaum von der Stelle setzte, Drang nĂ€her an mich, zĂ€rtlich fragend,
ob mir etwas zu mangeln schien.

Ein Gast, gab ich zur Anwort, wĂŒrdig dieses Orts.
Und Liebe sprach: Du sollst es sein.
Ich, der ich des Undanks, der UngĂŒte voll? Ach lieber Freund,
Der nicht dich anzuschauen vermag.
Liebe ergriff mich bei der Hand und sagte lÀchelnd:
Wer schuf die Augen, wenn nicht ich?

Zu wahr Herr, aber ich verdarb sie nur, laß meine Schande
Dort hingehen, wo sie es verdient.
Und weißt du nicht, spricht Liebe, wer den Tadel auf sich nahm?
Dann will ich, lieber Freund, dir dienen.
Du mußt, spricht Liebe, niedersitzen und mein Mahl genießen.

So setzte ich mich denn und aß.”
(Aus: Seelhöfer 2009, 84)

Georg Herbert (3. April 1593 – 1. MĂ€rz 1633)

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