Kehrt um und nehmt euer Kreuz!

Eine Polemik gegen das Wellness-Christentum

In der evangelischen Kirche eines kleinen Ortes nahe Hannover feiere ich alle zwei Wochen eine ökumenische Vesper. Vor kurzem sprach mich ein Besucher dieses katholisch-orthodox geprägten ökumenischen Abendlobs an. „Das ist ja alles schön und gut“, sagte er, „aber das muss doch noch viel mehr Freude ausstrahlen“. Er ist der Auffassung, man müsse die Menschen durch populäre Elemente der geistlichen Musik dazu motivieren, gern an dieser Art von Gottesdienst teilzunehmen. Sonst ist das seiner Meinung nach alles etwas zu ernst. Mein Gesprächspartner wünscht sich eine freudige Spiritualität, die nicht von demutsvollen Gesten und Bitten um Sündenvergebung verdüstert wird. Denn das, so kriege ich oft zu hören, interessiert ohnehin niemanden mehr und wirkt eher abschreckend.
Christusikone

Tod am Kreuz

Es soll also freudig zugehen! Freude! Klar, die Hinwendung zum Transzendenten, zu Gott, kann eine Quelle großer Freude sein. Doch zunächst müssen wir uns in Erinnerung rufen, dass das christliche Symbol das Kreuz ist. Das Kreuz, ein Folterinstrument, mit dem im römischen Reich viele Menschen auf eine grausame und barbarische Art und Weise zu Tode gequält wurden. Auch Christus, der Mensch gewordene Gott selbst, ist diesen grausamen Tod am Kreuz gestorben. Wenn wir auf das Kreuz und den gequälten Christus blicken, empfinden wir dann spontan ein Gefühl der Freude? Nein! Klar, das Kreuz ist denen, die mehr oder weniger oft den Gottesdienst besuchen, als Symbol schon so alltäglich geworden, dass wir über seine Funktion und das Martyrium, das es repräsentiert, gar nicht mehr groß nachdenken. Es erschreckt uns nicht mehr. Diejenigen allerdings, die mit dem christlichen Glauben und seiner Symbolik nicht vertraut sind, erschreckt und befremdet es sehr wohl. Was ist das für eine Religion, dessen wichtigstes Symbol ein antikes Folterinstrument ist (?), fragen sie sich. Und sie fragen sich das auch zu Recht. Warum ist das Kreuz zum wichtigsten christlichen Symbol geworden und warum hängt Christus überhaupt an diesem Kreuz?

Warum leidet Christus am Kreuz?

Die Antwort könnte lauten: Weil der jüdische Klerus Angst vor diesem wortgewaltigen und populären Menschen Jesus Christus gehabt, die Bevölkerung und Pilger in Jerusalem gegen ihn aufgehetzt und schließlich die römische Besatzungsmacht dazu gebracht hat, ihn auf der Hinrichtungsstätte Golgatha zu Tode zu quälen: Das könnte man darauf antworten. Dann ist es eine Geschichte. Dann bleiben wir letztendlich nur passive Zuschauer beziehungsweise Zuhörer in dieser antiken Tragödie. Aber sind wir das wirklich? Machen wir uns wirklich klar, warum Christus da am Kreuz leidet? Wir sind der Grund. Ich bin der Grund. Du bist der Grund. Weil wir uns immer wieder weit von Gott entfernen, uns immer wieder von ihm trennen. Weil wir egoistisch sind. Nicht genug lieben. Nur an uns denken. Nicht bereit sind, denen zu vergeben, die uns verletzt haben. Weil wir rechthaberisch sind. Stolz. Weil wir meinen, wir seien besser als andere. Anderen Schmerz und Verletzungen zufügen. Weil wir das Göttliche in uns selbst immer wieder von uns abspalten, anstatt es zu suchen und in uns zum Leben zu erwecken. Darum stirbt Christus. Darum leidet er am Kreuz. Gott ist Mensch geworden, hat sich selbst erniedrigt und sich kreuzigen lassen, um uns zu ihm zurückzuführen. Nicht die anderen sind daran schuld. Nicht die Römer, nicht Judas, der ihn ausgeliefert hat, nicht der jüdische Klerus, der seinen Kreuzestod gefordert hat. Wir sind dafür verantwortlich.Ich! Du!

Der Weg zu Christus führt über Golhatha

Neulich habe ich mit einer evangelischen Mit-Christin telefoniert, die sich, wie ich finde berechtigt, unglaublich über dieses seichte Christentum aufgeregt hat, das es allen und jedem Recht machen, möglichst noch modern sein und das Christentum zu einer Allerwelts-Wohlfühl-Religion machen will, die keinem mehr wehtut aber letztlich auch völlig entkernt ist. „Das Christentum ist doch nicht irgendeine Wellness-Religion“, rief sie erzürnt ins Telefon, „der Weg zu Christus führt über Golgatha“, … „über Golgatha“, wie sie mehrfach sehr aufgebracht wiederholte. Ja! Der Weg zu Christus führt über Golgatha. Gott ist in Christus Mensch geworden und hat uns das Evangelium gebracht. Ein Evangelium, dessen wichtigste Botschaft die Liebe ist. Um uns seine Vergebungsbereitschaft, seine Liebe zu zeigen, hat er für uns das größte Opfer gebracht, das überhaupt denkbar ist. Sich selbst. Es gibt keine größere Liebe als die, sich für andere zu opfern, für andere einen qualvollen Tod zu sterben. Wir müssen sein Opfer nur annehmen. Das ist es, was wir uns im christlichen Gottesdienst, in der Eucharistie, im Abendmahl, im Stundengebet und in anderen Formen des Gottesdienstes immer wieder vergegenwärtigen.

Christus ist auferstanden!

Die Freude führt im Christentum über das Kreuz. Billiger ist sie nicht zu haben! Billiger ist unsere Erlösung von Tod und Sünde nicht zu haben! Jeder christliche Gottesdienst ist im Kern immer ein kleines Passah. Ein kleines Osterfest. Und bevor wir uns am Ostermorgen selbstverständlich im tiefstem Herzen freuen können, müssen wir erst durch den Gründonnerstag, an dem Christus sich in Brot und Wein als das Opfer einsetzt und durch den Karfreitag, an dem er am Kreuz dieses Opfer selbst erbringt, hindurch. Und wenn wir dort hindurch gegangen sind, dann sind das Leiden und der Tod besiegt. Dann haben wir wirklich einen unglaublich großen Grund zur Freude. Christus ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden!

Kehrt um

Was heißt das für uns? Die Protagonisten eines seichten Wellness-Christentums, das es sich mit niemandem verderben möchte, erwähnen gern, das Christus alle Menschen liebt und sich insbesondere den Zöllnern und Sündern zugewandt hat. Das ist richtig. Was sie indes gern unerwähnt lassen, ist, das er von den Zöllnern und Sündern Umkehr und Veränderung gefordert hat. Er hat eben nicht gesagt: „Macht ruhig so weiter, ich habe Euch trotzdem lieb!“ Vielmehr: „Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.“ Christus sieht in der Sünde eine geistige Krankheit, die der Heilung durch ihn bedarf. Er hat von den Menschen Umkehr verlangt. Die Freude gibt es im Christentum nicht zum Nulltarif. „Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist mein nicht wert“, betont Christus. Der Weg zu Christus führt über das Kreuz! Das aber ist eine Botschaft, die fundamental dem geistigen und kulturellem Mainstream unserer Zeit widerspricht! Wer das verschweigt, biedert sich dem geistigen Mainstream der Postmoderne an und ist damit Teil des Problems und nicht Teil der Lösung – oder vielmehr Teil der geistigen Krankheit unserer Zeit und nicht der Heilung.

Die Macht des Egos

Aber was bedeutet das eigentlich: Der Weg zu Christus führt über das Kreuz? Der orthodoxe Christ, Rod Dreher, hat sich in seinem in diesem Jahr (2019) erschienen Buch „Die Benedikt-Option“ mit den kulturellen Veränderungen auseinander gesetzt, die aus dem Siegeszug der Psychologie Sigmund Freuds und der sogenannten sexuellen Revolution seit den 1960er Jahren hervorgegangen sind. Der religiöse vormoderne Mensch sei dazu geboren worden, „erlöst zu werden“, zitiert er den Soziologen Philip Rieff. Der heutige, psychologische Mensch hingegen „…. ist dazu geboren, befriedigt zu werden“. Soll heißen, der kulturelle Mainstream bringt Persönlichkeiten hervor, die wesentlich nur noch um das eigene Ego und seine Bedürfnisse kreisen. Geld, Einfluß und Sex sind die Prämissen, nach denen beurteilt wird, ob ein Leben „gelungen“, glücklich, ist oder nicht. Wenn dieses Streben nach immer mehr zu sehr aus dem Ruder läuft, wird es zur Sucht. Die westliche Kultur ist reich an Süchten. Sich diesem Kreisen ums eigene Ego und seiner Befriedigung auszuliefern, kann zerstörerisch sein – und in der Tat ist die Zerstörung sozialer Beziehungen und Bindungen ein verbreitetes Phänomen. Die hohe Zahl zerbrochener Ehen ist ein Ausdruck davon. Über das Ego nimmt alles das Besitz von uns, was es vermeintlich zu seiner Befriedigung braucht: Selbstsucht, Hochmut, Sex, Konsum, Macht.

Askese – ein Weg der Befreiung

Der andere Weg ist jener der Befreiung von diesen Dingen, die uns in Besitz nehmen (wollen). Für diesen Befreiungsweg auf Christus hin hat die rechtgläubige Kirche ein Rezept: Askese! Einübung in Beten, Kontemplation, Fasten. Es wird uns etwas abverlangt. Verzicht. Verzicht auf Dinge die letztlich uns lähmen und beherrschen. Und dieser Verzicht bedeutet oft ein Kreuz. Ich muss mich beschränken, in meinen Ess- und Trinkgewohnheiten, ins meinem TV und Internetkonsum, im Ausleben meiner sexuellen Wünsche und Begierden. Ich muss dafür sorgen, dass mich diese weltlichen Befriedigungsangebote an mein Ego nicht gefangen nehmen und abhängig machen. Damit ich frei werde für meine Beziehung zu Gott. Ich muss meine eigene Bedürfnisbefriedigung, meine Unversöhnlichkeit wenn ich gekränkt und ungerecht behandelt wurde, meine Bequemlichkeit, meinen Egoismus zurückstellen, damit ich in Liebe den Weg gehen kann, den Christus uns im Evangelium zeigt. Kehre um und glaube an das Evangelium, sagt Christus.

Die Aufgabe der Kirche

Die Aufgabe der Kirche ist es, uns in dieser Umkehr zu unterstützen, uns den geistlichen Weg der Umkehr zu bereiten. Eine Kirche hingegen, die meint, sich den Forderungen der Welt preisgeben zu müssen, der Forderung nach einer Ehe für alle, nach „Verständnis“ für Schwangerschaftsabrüche, nach dem Segen für homosexuelle Beziehungen, nach einer Spaß- und Eventkultur, danach, „modern“ zu sein, nach Uminterpretation der Sakramente und der Wahrheit in Schrift und Tradition, eine solche Kirche verleugnet das Kreuz. Letztlich betrügt sie ihre Mitglieder.

Wo ist Dein Kreuz?

Der Weg über das Kreuz zu Christus ist nicht leicht. Manchmal wird mir mein eigenes Kreuz zu schwer. Dann knicke ich unter ihm ein. Denn ich selbst bin unter allen Sündern der größte. Manchmal also verzweifele ich an meinem Kreuz. An meinem kleinen Mini-Kreuz, im Vergleich zu jenem, dass Christus für mich auf sich genommen hat. Aber aufs Ganze gesehen gibt es mir Kraft und Würde. Und wenn sich beim Gebet, in der Kontemplation oder der Liturgie auch nur in kleiner Spalt dieser Tür ins Himmelreich, von dem Christus spricht, öffnet, dann erfüllt mich das mit einer Freude, die alle weltlichen Freunden weit überstrahlt. Der Weg zu Christus führt über das Kreuz. Ein orthodoxer Mönch hat einmal in einem Vortrag gesagt: „Wir müssen nicht krampfhaft danach suchen. Das stellt sich von ganz allein ein.“ Aber oft genug möchten wir es gar nicht sehen. Wo also ist dein Kreuz? Finde es heraus!
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