Wie tickt die Marktwirtschaft?

Arbeitslosigkeit ist systemimmanent und die Unternehmen haben ein Interesse daran, dass möglichst immer ein gewisser Sockel an UnterbeschĂ€ftigung vorhanden ist, habe ich behauptet. Da taucht die berechtigte Frage auf: „Wie stellt man dieses gewisse Maß an UnterbeschĂ€ftigung sicher, als interessierter Unternehmer?“ ZunĂ€chst: Dieses Interesse ist auch auf Unternehmerseite oftmals widersprĂŒchlich. Als Mensch kann sich der Wirtschaftsvertreter, ob Topmanager oder Firmenbesitzer, durchaus wĂŒnschen, das jeder arbeitsfĂ€hige Mensch auch eine auskömmliche Arbeit hat. Als Firmen- oder Konzernsleiter muss er jedoch dafĂŒr sorgen, das sein Unternehmen möglichst billig produziert und im Bedarfsfall ein Pool an möglichst billigen und verfĂŒgbaren ArbeitskrĂ€ften vorhanden ist. Es geht hier also nicht um eine moralische Frage, nach dem Motto, böser Unternehmer hier, ausgebeuteter LohnempfĂ€nger da. Wirtschaftliches Handeln ist grĂ¶ĂŸtenteils in der Wirtschaftstruktur selbst angelegt, die den Teilnehmern des Wirtschaftprozesses quasi automatisch bestimmte Rollen zuweist, man kann auch sagen, ihnen ihre innere Logik aufzwingt.
Jenseits dieses ökonomischen Automatismus nehmen die UnternehmerverbĂ€nde mit ihren Wirtschaftinstituten und ihrer Lobbyarbeit natĂŒrlich auch zielgerichtet Einfluss auf die Politik. Aber es gibt immer auch Interessengruppen und InteressenverbĂ€nde, die dagegen steuern. Die Gewerkschaften zum Beispiel, und natĂŒrlich teilweise auch die öffentliche Hand, der daran gelegen ist, die Sozialeinkommen, also auch die Ausgaben fĂŒr Erwerbslose, möglichst gering halten. Allerdings ist der Wirtschaft mit der Agenda 2010 ein wirklich großer Coup gelungen, um die Kosten fĂŒr den Faktor Arbeit erheblich zu reduzieren und gleichzeitig eine Manövriermasse billiger ArbeitskrĂ€fte zu schaffen. Zu Einsparungen von Staatsausgaben hat das ĂŒbrigens kaum gefĂŒhrt, diese werden jetzt nur etwas anders verteilt.
Wie auch immer: Solange ein Wirtschaftszweig nicht völlig monopolisiert ist, haben die Unternehmen auch gegensĂ€tzliche Interessen: insbesondere hat das Einzelunternehmen ein Interesse daran, sich gegenĂŒber dem Konkurrenten auf dem Markt zu behaupten. Die Übernahmeschlachten unter den Großunternehmen sprechen BĂ€nde. Vieles geschieht auch hier nicht geplant, sondern weil die Logik des Wirtschaftsystem es so erfordert. So ist es auch mit der UnterbeschĂ€ftigung. Um sich auf dem Markt behaupten zu können, muss der Unternehmer möglichst billig produzieren. An Technologie kann er, will er wettbewerbsfĂ€hig bleiben, kaum sparen. Also spart er an ArbeitskrĂ€ften, insbesondere durch die Steigerung der ProduktivitĂ€t. Daraus resultiert die Freisetzung von menschlicher Arbeit und so wird in der Regel immer ein Sockel an UnterbeschĂ€ftigung vorhanden sein. Die so genannte „industrielle Reservearmee“ – um diesen etwas ideologisch aufgeladenen Begriff zu gebrauchen – wird heute gebildet aus Zeitarbeitern, Billiglöhnern, Menschen in den Bildungsmaßnahmen der Arbeitsagenturen und eben aus den Arbeitslosen. Da kommen auch derzeit noch gut fĂŒnf Millionen Menschen zusammen, die mehr oder weniger am Rand der Gesellschaft leben und quasi eine wirtschaftliche Manövriermasse bilden.
Nun noch einmal zu MorgenlĂ€nders Replik auf meine Replik. Teilweise gebe ich MorgerlĂ€nder recht: diese Zusammenbruchsprognosen, wie sie Marx teilweise praktizierte, haben zu nichts gefĂŒhrt und fĂŒhren auch heute zu nichts. Marx hatte beispielsweise nicht mit der AnpassungsfĂ€higkeit des Kapitalismus und nicht mit Henry Ford gerechnet. Nach etlichen Krisen der Markwirtschaft und zum Teil auch krisenbedingten Kriegen hat der Unternehmer Henry Ford Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckt, dass der Arbeiter nicht nur Arbeiter, sondern auch Konsument ist, und man ihn ergo mit der nötigen Kaufkraft ausstatten muss, um die eigenen Produkte an den Mann beziehungsweise die Frau bringen zu können. Um so den Wirtschaftkreislauf mit dem nötigen Treibstoff zu befeuern, der ihn am Zirkulieren hĂ€lt. Das verstand sich bisher nĂ€mlich keinesfalls von selbst, wie MorgenlĂ€ner in seinem Beitrag impliziert. Fords Innovation war ein revolutionĂ€rer Schritt, der letztlich auch zur Steigerung des allgemeinen Wohlstands beigetragen und der freien Markwirtschaft ein langfristiges Überleben gesichert hat. Die Steigerung der ProduktivitĂ€t und die Herstellung von Kaufkraft bedingen sich seither in einem gewissen Maße, da hat MorgenlĂ€nder recht. Aber eben nur in einem gewissen Maße: „Unternehmen steigern ihre ProduktivitĂ€t“, sagt MorgenlĂ€nder, „um Marktvorteile zu erlangen. Das können sie aber nur, wenn sie ihre niedrigeren Kosten an die Kunden weitergeben, also ihre Verkaufspreise senken. Sinken aber die Preise, steigt die Nachfrage. GĂŒter, die zuvor nur fĂŒr wenige erschwinglich waren, werden nun zur Massenware“. Das funktioniert allerdings nicht so reibungslos, wie es im volkswirtschaftlichen Modell zu sein scheint. Denn einerseits möchte der Unternehmer seine Waren verkaufen, andererseits aber eben auch möglichst billig produzieren, also den Preis fĂŒr die Arbeitkraft senken. Hier beißt sich aber die Katze in den Schwanz: denn wenn der Unternehmer den Preis fĂŒr die Arbeitskraft senkt, reduziert er gleichzeitig die Kaufkraft und wird seine Waren nicht mehr los. Das ist einer der GrĂŒnde, warum die Markwirtschaft immer wieder in die Krise gerĂ€t. GĂ€be es keine GegenkrĂ€fte und regulierenden Eingriffe außerhalb des freien Marktes, so hĂ€tte sich die Markwirtschaft schnell selbst in Grund und Boden ruiniert. Das ĂŒbersehen die Vertreter des Wirtschaftsliberalismus leider sehr gern. Solange es was zu verdienen gibt, soll der Markt bitteschön ohne Staatsinterventionismus sich selbst ĂŒberlassen bleiben. Hat sich der freie Markt dann einmal wieder in die Krise manövriert, muss es Vater Staat mit Subventionen, Steuerbefreiung; Gesetzen zur Verbilligung der Arbeitskraft – Hartz IV lĂ€sst grĂŒĂŸen – und anderen Maßnahmen richten.
Das Problem der wirtschaftsliberalen Volkswirtschaftlehre ist es, dass sie nur in Modellen zu denken vermag und die Parameter, die nicht in diese Modelle passen, einfach ausblendet. Alle derzeitigen KrisenphĂ€nomene, von den immer wiederkehrenden Absatzkrisen bis hin zur Krise des Geldes und der Staatsfinanzierung, geben der kritischen Wirtschafts- und Sozialwissenschaft, die sich teilweise auch auf die politische Ökonomie von Marx’ bezieht, recht. In den Modellen des Marktliberalismus lĂ€uft allerdings immer alles wie geschmiert. Nur die RealitĂ€t will sich dem leider nicht fĂŒgen. Also nehmen wir sie lieber nicht zur Kenntnis.
Der durch die ProduktivitĂ€tssteigerung hergestellte Profit bedarf der Massenkaufkraft, um sich quasi wieder realisieren, also fĂŒr die GĂŒterproduktion, und damit zur Schaffung weiterer Werte, verwendet werden zu können. Das allerdings ist dem Einzelunternehmer nicht immer so klar, wie es im Modell erscheint. Und das Modell funktioniert schon deshalb nicht mehr, weil sich durch den Grad der ProduktivitĂ€t gar nicht mehr genĂŒgend Kaufkraft realisieren lĂ€sst, damit sich das vorhandene Kapital durch die Produktion von Massenwaren immer wieder die notwendige Frischzellenkur verpassen kann, die es zur Expansion braucht. Anders gesagt: Es kann weit mehr produziert als abgesetzt werden. Und indem die Reallöhne gesenkt und die Arbeitskraft immer stĂ€rker prekarisiert wird, verschĂ€rft sich dieses Problem nur. Das Interesse des Unternehmens ist es eben nicht, Massenkaufkraft herzustellen, sondern billig zu produzieren und teuer zu verkaufen. Das wiederspricht nicht der Tatsache, das Waren auch verbilligt werden, um neue MĂ€rkte zu erschließen oder alte nicht zu verlieren. Die Verteuerung lĂ€sst sich auch anders machen. Zum Beispiel, in dem man den schnelleren Verschleiß quasi schon in das Produkt einbaut. Insgesamt kommt das ganze Modell aber an seine Grenzen und sucht sich neue Wege. Diese finden sich etwa in den KapitalmĂ€rkten. Die Marktwirtschaft ist an einen Punkt gelangt, wo sie im Prinzip absurd wird. Es zirkuliert mehr Kapital denn je um die Welt, und trotzdem steigt die KrisenanfĂ€lligkeit dieses Systems und die Menschen werden tendenziell und relativ zum gesellschaftlichen Gesamtvermögen immer Ă€rmer. Es öffnet sich die Einkommensschere, heißt das offiziell. Das sind die Risiken und Nebenwirkungen eines Systems, das sich immer mehr selbst ad absurdum fĂŒhrt.

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