Kurz vor Weihnachten erschien auf der Homepage der kleinen Klostergemeinschaft der Cella Sankt Benedikt im Herzen Hannovers ein Eintrag unter dem Stichwort Jungfrauengeburt.
Bevor die Einschränkungen der Corona-Pandemie den Gottesdienstbesuch sehr erschwerten, habe ich dort mehrmals in der Woche das Stundengebet mitgefeiert. Aus alter Verbundenheit mit der Cella nehme ich daher kurz zu diesem Beitrag Stellung.
Knapp zusammengefasst lautet der Inhalt, dass der Begriff „Jungfrau“ in Matthäus 1, 23 auf einem Übersetzungsfehler der Septuaginta beruhe, in der das Wort „alma“: Junge Frau“ mit „virgo“: Jungfrau, falsch wiedergegeben, beziehungsweise eigenwillig interpretiert worden sei. Die Jungfrauengeburt verweise darüber hinaus auf alte heidnische Religionen des Vorderen Orients, in denen das Motiv der Jungfrauengeburt, wie etwa im alten Ägypten, lange vor dem Christentum üblich gewesen sei. Hier habe man jedoch weniger etwas über die Mutter aussagen, sondern vielmehr auf die Göttlichkeit beispielsweise des Gottkönigs Pharao verweisen wollen. Im Johannesevangelium gebe es darüber hinaus eine indirekte Deutung der Jungfrauengeburt, denn dort heiße es, dass alle Glaubenden „nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren“ seien. Damit soll, wie ich annehme, gesagt werden, dass das Motiv der Jungfrauengeburt von den Evangelisten, beziehungsweise den alttestamentarischen Propheten, aus dem Heidentum übernommen und auf das Christentum übertragen wurde. Man habe die göttliche Sendung Christi betonen wollen. Dies sei jedoch keine realhistorische Begebenheit, sondern (lediglich) ein geistliches Bild, das im Johannesevangelium auch auf andere Glaubende hingedeutet worden ist.
Der Text gibt (wie ich annehme) den Stand einer Strömung der gegenwärtigen akademischen, evangelischen wie katholischen, Theologie kurz auf den Punkt gebracht wieder. Die Botschaft lautet implizit, dass man auf den Glauben an Wunder durch göttliches Eingreifen und göttliche Bestimmung in unserer aufgeklärten Welt verzichten könne. Letztlich wäre die Überlieferung vernunftgemäß erklärbar und sei eher als geistliches Bild zu bewahren. Christlicher Glaube und Moderne ließen sich auf diese Art miteinander versöhnen. Ich habe das an anderer Stelle als die Säkularisierung des Glaubens bezeichnet. Die Folgen dieser Theologie hat eine Bekannte von mir, die der Kirche inzwischen ganz den Rücken gekehrt hat, einmal mit dem Satz auf den Punkt gebracht: „Ich glaube diese ganzen Bibelgeschichten nicht mehr“. Ein Einzelfall. Aber eine der unausweichlichen Folgen der Glaubenssäkularisierung ist meiner Auffassung nach der Glaubensverlust.
Nun mag die geschilderte Sichtweise den aktuellen Stand der gegenwärtigen akademischen Theologie wiedergeben, unumstritten ist sie nicht. Der am 8 Juni 2020 verstorbene Theologe Klaus Berger etwa weist darauf hin, dass das Wort alma durchaus mehrdeutig ist und sowohl mit Junge Frau als auch mit Jungfrau übersetzt, beziehungsweise von der weiteren Bedeutung her auch als „Jungfrau“ verstanden werden könne. Berger verdeutlich insbesondere die Intention in Jesaja 7, 14, der hier auf ein besonderes Zeichen Gottes verweisen wollte. „Nun ist bekannt“, schreibt Berger, „dass zu über 99% aller Kinder von jungen Frauen empfangen und geboren werden. Worin soll das besondere, das Zeichen, liegen, wenn lediglich eine junge Frau ein Kind bekommt? Das wäre kein Zeichen, sondern normal. Der Sinn dieser Schriftstelle bei Jesaja wäre damit schon nach hebräischen Wortlaut verpufft“. Da das Wort alma aber auch Jungfrau bedeuten könne, lasse schon der hebräische Text geheimnisvoll offen, wie diese junge Frau zu ihrem Kind komme, so Berger weiter.
Mir ist indes aus orthodoxer Perspektive noch etwas anderes, von Berger meiner Auffassung nach Vernachlässigtes, wichtig. Der orthodoxe Priester Johannes R. Nothaas verweist insbesondere auf die Bedeutung, dass Christus keinen irdischen Vater habe und seine Stellung damit über Zeit und Raum auf seinen ewigen, also transzendenten Ursprung verweise. „Das Wort ist Fleisch geworden“, heißt es im Johannesevangelium „und hat unter uns gewohnt“. Mit Christus ist also kein neuer Mensch auf die Welt gekommen, und damit begann „die Person des Gottessohnes, die vor allem Sein war, neben seiner göttlichen Seinsweise ein Dasein als Mensch“. Die Besonderheit, die sich nicht zuletzt im Weihnachtsfest ausdrückt, ist die Menschwerdung Gottes, und zwar nicht mittels Zeugung durch einen irdischen Vater sondern durch das Wirken des Heiligen Geistes, durch das Wirken Gottes selbst. Von dieser Besonderheit ist die gesamte Weihnachtsbotschaft durchdrungen. „Diese Aussage des Neuen Testaments zu hinterfragen oder zu problematisieren,“ sagt Vater Johannes “, „heißt, die Kompetenz der menschlichen Vernunft zu überschreiten und in das Offenbarungshandeln Gottes interpretierend einzugreifen. Die Theologie darf hier so wenig wie an irgendeinem anderen Punkt die Frage aufwerfen, ob und wie dies möglich sei“.
Ich meine, dass diese Annäherung an das Geheimnis von Weihnachten, es glaubend anzunehmen, ohne zu fragen, was kann Gott „kann“, auch in guter westkirchlicher, mithin römisch-katholischer Tradition steht. Meiner Auffassung nach sind die Versuche in der westlichen akademischen Theologie, die Wunder rational hinweg zu interpretieren, nicht zuletzt auch Ergebnis und Ursache des Glaubensverlustes in der westlichen Welt zugleich. Ich persönlich wünsche mir daher eine Rückkehr zur Vätertheologie. Historische Interpretationen sollten wir, so meine bescheidene Auffassung, eher den historischen Wissenschaften überlassen.
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