Keine Chance für Gott: Eine Polemik zur kritisch-historischen Bibelexegese

Ehe für alle, Frauenpriestertum, Glaubensverlust. Das sind einige der Themen, an denen ich mich unter anderem in Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Altkatholizismus auf diesen Seiten abgearbeitet habe. Ein Thema, welches alle diese Fragen in einer gewisser Art und Weise streift, ist die sogenannte kritisch-historische Bibelexegese. Der Bezug ist dabei insofern indirekt und vermittelt, als sich die kritisch-historische Bibelexegese nicht unmittelbar mit diesen Fragen beschäftigt, sondern vielmehr die Verteidiger etwa der Ehe für alle, der Segnung für homosexuelle Paare und des Frauenpriestertums sich nicht zuletzt auf die Ergebnisse der kritisch-historischen Bibelexegese stützen.

De-Transzendierung der Offenbarung

Ich bin kein Theologe. Deswegen setze ich mich zwar mit Glaubensfragen auseinander,  weniger jedoch mit explizit theologischen Themen, jedenfalls soweit es sich um theologisch-akademische Fragestellungen handelt. Ich bin Soziologe, der sich insbesondere mit hermeneutischer Sozialwissenschaft beschäftigt hat. Und gerade aus diesem Grund kann ich mich gut in die sogenannte kritisch-historische Bibelexegese hineindenken, denn hier handelt es sich im Prinzip nicht um Theologie, wie prominente Vertreter dieses Ansatzes auch gern einräumen. Die historisch-kritische Bibelexegese ist ein ideengeschichtliches Fachgebiet. Analysiert werden die kulturgeschichtlichen, sozialen und ideengeschichtlichen Voraussetzungen der Ereignisse, von denen in der Bibel berichtet wird. Indem sie sozial- und kulturgeschichtliche Prozesse analysiert, ist die kritisch-historische Methode ein Methodenkonglomerat aus Geschichts- und Literaturwissenschaften, Soziologie und Linguistik. Der Theologe Rudolf Bultmann formuliert denn auch deutlich, dass die kritisch-historische Bibelauslegung im Grunde Geschichtswissenschaft ist. 

Würde sich dieser Forschungszweig darauf kaprizieren, das historische Umfeld der Ereignisse zu untersuchen, vor dessen Hintergrund sich beispielsweise die Menschwerdung Gottes in Christus, sein Wirken auf der Erde sowie sein Tod und seine Auferstehung abgespielt haben, so wäre daran nichts auszusetzen. Biblische Geschichtswissenschaft eben. Die kritische-analytische Bibelexegese beansprucht indes, das Offenbarungsgeschehen selbst auf kultur- und ideengeschichtlicher Grundlage erklären zu können, womit sie es gewissermaßen de-transzendiert.    

Rudolf Bultmann

Entwirklichung des Übernatürlichen

Damit krankt die kritisch-historische Bibelexegese, insofern sie beansprucht, Theologie zu sein, an ihren eigenen fachlichen Implikationen. Ihr Ziel ist es, Transzendentes, dem menschlichen Verstehen und der menschlichen Vernunft entzogene Bereiche einer anderen Wirklichkeit, mit Mitteln der Vernunft zu analysieren und erklären. Das kann natürlich nicht funktionieren, oder besser gesagt, es kann nur dann funktionieren, wenn man einer transzendenten Wirklichkeit schon a priori den Wahrheitsgehalt entzieht. Die Transzendenz muss gewissermaßen entwirklicht werden, damit wir sie mit den Mitteln der soziologischen und historischen Analyse untersuchen und erklären können. Die kritische Bibelexegese begreift die biblischen Berichte tendenziell als fiktive Erzählungen, deren Entstehungsgeschichte sie kenntlich machen will. Die kritisch-historische Bibelexegese ist also gekennzeichnet von einem methodischen Atheismus, der sich natürlich auch auf die Ergebnisse der Forschung auswirkt. Wer kultur- und ideengeschichtliche Bedingungszusammenhänge sucht, wird sie auch finden. Dabei ist nicht die Suche als solche problematisch, sondern der Bedingungsrahmen und die vorgegebenen Zusammenhangsannahmen. In der kritisch-historischen Bibelexegese hat die Transzendenz keine Chance! 

Beispiel: Petrusbriefe

Dabei beansprucht die historisch-kritische Bibelexegese, streng analytisch vorzugehen und damit letztlich auch valide Ergebnisse liefern zu können. Allerdings muss sie, um zu diesen Ergebnissen zu kommen, vielfach auf Hypothesen und Vorannahmen zurückgreifen. Beispiel: Petrusbriefe. In der kritisch-historischen Bibelexegese wird die These vertreten, dass etwa die Petrusbriefe gar nicht von dem Apostel Petrus sein können. Denn dieser sei ein ungebildeter Fischer gewesen, der mit ziemlicher Sicherheit weder des Lesens und Schreibens noch des Griechischen mächtig gewesen sei, einer Sprache, in der diese Briefe verfasst wurden. Ergo muss ein anderer die Petrusbriefe verfasst und, um den Texten mehr Autorität zu verleihen, sie als Schriftstücke von Petrus ausgegeben haben. Eine Hypothese. Nicht mehr und nicht weniger. Man kann die Sache nämlich auch ganz anders sehen. Der im Juni 2020 verstorbene Theologe Klaus Berger etwa, der an der Universität Heidelberg lehrte, hält dagegen: “Ohne Griechischkenntnisse hätte man im »Galiläa der Heiden« zur Zeit Jesu noch nicht einmal ein Brötchen kaufen können. Und perfekt zweisprachig sind in unserer Familie schon Fünfjährige. Und es ist nur eine zielgerichtete Mär, zu behaupten, ältere Katholiken verstünden das Latein von Tantum ergo, Gloria und Credo nicht. Sie können es sogar singen, und zwar bis heute. – Die Übereinstimmungen mit Paulus sind nicht Plagiate, sondern beruhen auf gemeinsamer Tradition (vgl. dazu die Übersicht in: Theologiegeschichte des Urchristentums, 2 . A., §  254 – 264 ). Und selbst wenn Petrus nicht schreiben konnte – Briefe pflegte man zu diktieren. Bei Paulus rechnet jeder Exeget damit. Nur was für Paulus gilt, darf für den ersten Papst nicht gültig sein. Warum muss ein Fischer ungebildet sein? In Heidelberg können heute selbst Taxifahrer Altgriechisch (Akademikerschwemme). Und selbst wenn das mit Paulus Übereinstimmende von Paulus abgeschrieben wäre – was wäre schlimm daran, wenn Petrus und Paulus im Urteil derer, die lesen und schreiben konnten, theologisch nahe beieinandergestanden hätten?“ (Berger, Klaus. Die Bibelfälscher: Wie wir um die Wahrheit betrogen werden (German Edition) (Kindle-Positionen149-156). Pattloch eBook. Kindle-Version) Klaus Berger kommt zu dem Schluss: “Die historisch-kritische Exegese hat klassische Fehlleistungen vollbracht, zum Beispiel die Leugnung der Faktizität der Auferstehung Jesu. Der Maßstab für diese Interpretation der heiligen Texte der Christenheit war das Bestreben, modern zu sein.” (Berger, Klaus. Die Bibelfälscher: Wie wir um die Wahrheit betrogen werden (German Edition) (Kindle-Positionen526-527). Pattloch eBook. Kindle-Version. ) Bergers Auffassung nach ist “(…) der Zustand der Kirchen auf evangelischer wie katholischer Seite (…) zu einem nicht unwesentlichen Teil jener schonungslosen Zerstörung zu verdanken, die von den Bibelwissenschaften ausging. Wenn nämlich die Bibel, wie gerade die Reformation feststellte, die maßgebliche Grundlage für das Christentum ist, kann eine systematische Zerstörung dieser Grundlage nicht ohne Folgen bleiben.” (Berger, Klaus. Die Bibelfälscher: Wie wir um die Wahrheit betrogen werden (German Edition) (Kindle-Positionen87-89). Pattloch eBook. Kindle-Version.) 

Hl. Simon Petrus

Mitwirken am Niedergang des Christentums

In der Tat. Die kritisch-historische Bibelexegese ist inzwischen zum wichtigsten Zweig der akademischen Bibelauslegung  geworden und wirkt auf akademischer Ebene mit am Niedergangs des Christentums im Westen. Besonders deutlich wird das im Protestantismus, wo das Wort, also die Bibelauslegung, den wichtigsten Teil des Gottesdienstes ausmacht. Wenn die Mehrheit der evangelischen Pastoren und Pastorinnen selbst nicht mehr an den historischen Wahrheitsgehalt des Evangeliums glaubt, können sie diese Wahrheit auch nicht mehr an die Gemeinde vermitteln. Im Katholizismus bietet das kirchliche Lehramt und die Liturgie noch etwas Schutz gegen die Auflösung des christlichen Glauben. Aber auch hier schreitet die Erosion voran – und sie hat lange vor dem Missbrauchs-Skandal in der katholischen Kirche begonnen.        

Die kritisch-historische Bibelexegese fördert diesen Erosionsprozeß, indem sie das auszulegende Wort als der Geschichte untergeordnet betrachtet. Sie ist ein Kind der Aufklärung, die an die Stelle Gottes die Vernunft setzt. Offenbarung könne nicht enthüllen, sagte der Philosoph Gotthold Ephraim Lessing, was nicht durch die Vernunft selbst enthüllt werden könne. Auch wenn es heute nicht so deutlich gesagt wird: Implizit widerspricht die kritisch-historische Bibelauslegung der Auffassung, dass es sich bei den Bibeltexten um geoffenbarte transzendente Wahrheiten handele, beziehungsweise um die Niederschrift eines transzendenten Offenbarungsgeschehens. 

Immanuel Kant, der als einer der geistigen Väter der Aufklärung gesehen wird, vertrat die Auffassung, das der Mensch keine Errettung sondern eine Anleitung zum rechten Handeln brauche. Die kritisch-historische Methode ist wesentlich inspiriert von den Denkern der Aufklärung, die in der Mehrzahl zwar keine Atheisten, wohl aber mehr oder weniger erklärte Gegner des Christentums waren. Als Erbe der Aufklärung gehört es insofern zum Sub-Motiv der kritisch-historischen Methode, die Glaubenswahrheiten des Christentums wegzurationalisieren. (Zum Thema Aufklärung an anderer Stelle ausführlich mehr: http://notizblaettchen.de/?p=1452) Die kritisch-historische Bibelexegese fragt beispielsweise, welchen Zwecken eine bestimmte in der Bibel verschriftlichte Erzählung gedient haben könnte. “Die Möglichkeit, dass eine mündliche Überlieferung auch einen historischen „Kern“ besitzen kann, wird durch diese Vorgehensweise zwar nicht ausgeschlossen, aber deutlich minimiert.” (In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 14. Februar 2020, 18:57 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Historisch-kritische_Methode&oldid=196817583 (Abgerufen: 4. Juli 2020, 21:17 UTC))

Immanuel Kant

Entweder oder

Insofern kann man im Prinzip nicht gleichzeitig die kritisch-historische Bibelauslegung vertreten und andererseits die Bibel als eine zumindest durch menschliche Aufzeichnungen vermittelte Offenbarung Gottes halten. Ehrliche Anhänger dieses Wissenschaftszweiges bringen das auch deutlich zum Ausdruck. 

Einer von ihnen, der die historisch-kritische Bibelexegese besonders gut verstanden hat, ist der ehemalige Pastor und evangelische Theologie Harry Flatt-Heckert. Nachdem er seine Pfarrstelle kündigte, schrieb er einige Bücher, in denen er unter anderem das, was er in seinem Theologiestudium lernte, auf den Punkt gebracht hat: 


” (…) Wenn Sie jetzt weiterlesen, dann bleibt von der unbefleckten Empfängnis und der schönen Jungfrauengeburt nicht mehr viel übrig. Eigentlich gar nichts. Aber dann müssen wir uns auch nicht mehr das Gehirn darüber zermartern, ob das „Jungmädsche“ Maria tatsächlich eine Jungfrau war oder vielleicht doch nur ein kleines Luder. Das ist dann nämlich auch nicht mehr weiter relevant. Überhaupt nicht. Das geht uns dann auch gar nichts mehr an.
Das ist dann allein Marias Angelegenheit. Und Josefs vielleicht.
Wenn wir diese Geschichte also mal aus einem ganz anderen Blickwinkel begucken, nämlich aus der Ecke der historisch-kritischen Bibelforschung heraus, dann spielt das alles überhaupt keine Rolle mehr. (Hervorhebung durch den Verfasser) Und dann müsste die Kirche – insbesondere die katholische Kirche – auch heute nicht mehr so ein Brimborium um die Jungfrau Maria machen. Stellen Sie sich mal vor: Papst Johannes Paul II – Gott hab ihn selig – hatte das Marienzeichen sogar in seinem Wappen! Man hatte ja manchmal den Eindruck, dass ihm die Jungfrau Maria wichtiger war, als der Heiland himself. Wenn der beim Theologiestudium ein wenig mehr aufgepasst hätte, dann hätte er sich und uns diese Peinlichkeit nämlich ersparen können. Und die ganze katholische Kirche das enervierende Gesabbel von der Jungfräulichkeit und der Vaterschaft des Heiligen Geistes auch. Abgesehen davon fand ich den polnischen Paul aber echt ziemlich cool. Echt.” (Flatt-Heckert, Harry. Theologie für Schwergläubige (German Edition) . epubli. Kindle-Version.) 

Ich vermute mal, das viele evangelische (und manche katholische) Pastoren so denken, wie Harry Flatt-Heckert. Aber so lange sie in der Kirche angestellt sind und angestellt bleiben wollen, können sie das so nicht sagen sondern höchstens erahnen lassen und die Frage nach Gott und der Transzendenz weitgehend aus ihrer Arbeit und ihren Predigten heraushalten. Deshalb wird insbesondere in den protestantischen Kirchen viel über soziale Gerechtigkeit, Klimawandel, über ethische Fragen und sonstige soziale Probleme gesprochen, aber auffallend wenig über Gott.  


Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer. Aber auch die angebliche Vernunft hat schon Ungeheuerliches hervor gebracht


Bibel und Glaube ohne Autorität

Eine Konsequenz der historisch-kritischen Bibelexegese ist, dass die biblischen Quellen ihre Autorität verlieren. Wenn ohnehin alles nur kultur- und ideengeschichtlich bedingt ist und die biblischen Texte keine übernatürlichen Offenbarungen sind, dann braucht man sich auch nicht an ihre Gebote zu halten. Ideen, die historisch entstanden sind, sind auch historisch veränderbar und es gibt überhaupt keinen Grund, weiter an ihnen festzuhalten, wenn sie sich für die aktuellen gesellschaftlichen Wertsysteme und für das eigene Leben als zu sperrig und unbequem erweisen. Wenn beispielsweise die Verurteilung von Homosexualität, Ehescheidung und Frauenpriestertum historisch entstandene kulturgeschichtliche Phänomene sind, dann müssen sie selbstverständlich heutzutage für uns keine Relevanz mehr haben. Es steht dann natürlich in unserer Macht und in unserem Ermessen, sie zu verändern. Wer allerdings an der göttlichen Inspiration der Offenbarung festhält, wird sie auch gegenüber Modernisierungsbestrebungen verteidigen, einfach, weil sie für traditionsorietierte Christen eine überzeitliche und die gesellschaftlichen Veränderungen transzendierende Bedeutung haben. Wer das tut, ist aus der Perspektive modernistischer Christen und aller anderen sowieso ein Fundamentalist. “Die historisch-kritische Exegese hat klassische Fehlleistungen vollbracht, zum Beispiel die Leugnung der Faktizität der Auferstehung Jesu” (..) sagt Klaus Berger. “Der Maßstab für diese Interpretation der heiligen Texte der Christenheit war das Bestreben, modern zu sein.“ Berger, Klaus. Die Bibelfälscher: Wie wir um die Wahrheit betrogen werden (German Edition) (Kindle-Positionen526-527). Pattloch eBook. Kindle-Version)

Klaus Bergers Schrift zur kritisch-historischen Bibelexegese

„Modernisierung“ der Schrift

Modern sein wollen, dieses Bestreben bestimmt vielerorts den Umgang mit der Schrift, und zwar in allen Konfessionen und Kirchen des Westens. Bei den einen ist der Erosionsprozeß des Glaubens, der daraus folgt, weiter fortgeschritten, bei anderen wird er durch Lehramt und Hierarchie mehr oder weniger stark ausgebremst. Personen und Strukturen, die für dieses Ausbremsen einstehen, ziehen inner- wie außerkirchlich starke Anfeindungen auf sich. Theologen und Kirchenleute wiederum, die zwar einerseits von einer transzendenten Inspiration der Schrift und des Weltgeschehens ausgehen und auch einen persönlichen Bezug zum Glauben und der Präsenz Gottes haben, aber andererseits Positionen der kritisch-historischen Bibelexegese vertreten, haben das Problem, dass sie bestimmen müssen, was eine universelle Bedeutung und was letztlich nur ein zeitgeschichtliches Phänomen ist. In der Regel wird das, was nicht in die moderne Gesellschaft passt, als zeitgeschichtlich bestimmt. 

Nehmen wir als Beispiel die Verurteilung von Homosexualität etwa im Römerbrief bei Paulus: “Darum hat sie Gott dahingegeben in schändliche Leidenschaften; denn bei ihnen haben Frauen den natürlichen Verkehr vertauscht mit dem widernatürlichen; 27 desgleichen haben auch die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau verlassen und sind in Begierde zueinander entbrannt und haben Männer mit Männern Schande über sich gebracht und den Lohn für ihre Verirrung, wie es ja sein musste, an sich selbst empfangen.” Dazu heißt es von reformwilliger Seite in er Regel, Paulus spreche hier gar nicht von festen Beziehungen in gegenseitiger Liebe und Verantwortung, sondern lediglich von der in der griechischen Antike verbreiteten Knabenliebe und männlicher Prostitution. Feste und verantwortungsvolle Liebesbeziehungen zwischen Männer und Frauen habe es gar nicht gegeben, heißt es. Wer jedoch Platon aufmerksam liest, muss zwanngsläufig zu anderen Ergebnissen kommen, wie der evangelische Pfarrer und Theologie Gunther Geipel feststellt: „In seinem ‚Symposion‘ (einem Dialog der frühen oder mittleren Periode) lässt Platon den Komödiendichter Aristophanes sagen: ‚Wenn nun dabei einmal der liebende Teil, der Knabenliebhaber sowie alle andern, auf seine wirkliche andere Hälfte trifft, dann werden sie von wunderbarer Freundschaft, Vertraulichkeit und Liebe ergriffen und wollen, um es kurz zu sagen, auch keinen Augenblick von einander lassen. Und diese, welche ihr ganzes Leben mit einander zubringen, sind es, welche doch auch nicht einmal zu sagen wüßten, was sie von einander wollen. Denn dies kann doch wohl nicht die Gemeinschaft des Liebesgenusses sein, um dessen willen der eine mit dem andern so eifrig zusammenzusein wünscht: sondern nach etwas anderem trachtet offenbar die Seele von beiden, was sie nicht zu sagen vermag, sondern nur ahnend zu empfinden und in Rätseln anzudeuten.’ Wenn also zwei „zusammengehörige“ sich homosexuell Liebende einander gefunden haben, bleiben sie nach Aristophanes’ Darstellung lebenslang zusammen. Der sexuelle Genuss allein aber erklärt diese Treue nicht, mit der sie so leidenschaftlich verbunden bleiben. Vielmehr deutet Aristophanes sie als innerste Sehnsucht nach eben der Ganzheit, aus der sie einst hervorgegangen seien. – Nun beschreibt dieser von Aristophanes vorgetragene Mythos vom einst zusammengehörigen und dann geteilten „Kugelmenschen“ zwar nicht die eigene Sicht Platons. Zweifellos aber muss Aristophanes’ Beitrag zum großen Thema „Eros“, um das es im ganzen „Symposion“ geht, als Widerspiegelung vorhandener Sehnsüchte und Praktiken seiner Zeit gesehen werden. Homosexuelle Lebensweise und Treue gehörten für einige Paare offenbar zusammen.”(Geipel, Gunther: Antike Homosexualität war ganz anders https://www.leiterkreis.de/ethik/Antike_Homosexualitaet.pdf. Download vom 04.07.2020)

Anbruch der Moderne

Interessengeleitete Forschung

Wenn man sich also die historischen Befunde zum Thema “Antike Homosexualität” genauer und unvoreingenommen betrachtet, dann muss man zu dem Ergebnis kommen, das es sehr wohl auch in biblischer Zeit feste homosexuelle Liebesbeziehungen gab. Andere Behauptungen erscheinen dann in erster Linie als von Interessen geleitet. Woran besteht das Interesse? Wenn man homosexuelle Beziehungen kirchlich segnen oder homosexuellen Paaren gar das “Sakrament der Ehe” spenden will, dann muss man die biblischen Aussagen zur Homosexualität relativieren. 

Die kritische Bibelexegese ist ein aus der Aufklärung entstandener theologischer Wissenschaftszweig. Als solche ist sie keineswegs “unabhängig” und nur der Erkenntnis verpflichtet. Sie dient einem bestimmten Zweck. Dieser Zweck besteht darin, die kulturellen und ideologischen Entwicklungen und vermeintlichen Erfordernisse der Moderne in der Kirche – wie man so schön sagt – theologisch salonfähig zu machen. Das ist ihr in weiten Teilen ganz gut gelungen!

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