Etlichen Christen, die frĂŒher regelmĂ€Ăig den Gottesdienst besuchten, ist derzeit der Kirchgang verleidet. Die einen fĂŒrchten sich vor der Ansteckung mit dem Corona-Virus. Andere wiederum sind entsetzt ĂŒber die Folgen der gesundheitspolitischen Verordnungen, welche nach offizieller Leseart die Ausbreitung der Corona-Pandemie eindĂ€mmen sollen: Singen ist verboten, es wird die Einhaltung strenger Abstandsregeln gefordert, die Zahl der Gottesdienstbesucher ist streng begrenzt, eine vorherige Anmeldung ist erforderlich, wĂ€hrend des gesamten Gottesdienstes muss eine Gesichts-Maske getragen werden, persönliche Begegnungen nach dem Gottesdienst sind untersagt.
Liturgie lebt vom Gesang
Ich selbst empfinde das Masketragen ĂŒber eine lĂ€ngere Zeit als beklemmend und das halblaute Heruntersprechen â um nicht den Ausdruck “leiern” zu verwenden â etwa der Psalmen, als deprimierend. Die Liturgie lebt nicht zuletzt vom Gesang: Gesang ist nicht nur einfach eine Ă€sthetische Zugabe im Gottesdienst, sondern eine feierliche und besonders wĂŒrdige Form der Anbetung. Das war schon immer so, sowohl im Judentum als auch im Christentum. In der Bibel werden wir zum Singen aufgefordert: “Singet dem HERRN, alle Lande, verkĂŒndiget tĂ€glich sein Heil! (…)” heiĂt es da (Chronik 1 16, 23).
BeschÀdigung der Liturgie
Ohne Gesang wirken viele Elemente in der Liturgie beschĂ€digt. Etliche ziehen fĂŒr sich daraus die Konsequenz, lieber zuhause zu bleiben. Ein Freund verkĂŒndete kĂŒrzlich, dass er erst dann wieder zur Kirche gehe, wenn die Gottesdienste normal gefeiert werden; ein anderes Gemeindemitglied empfindet die Gottesdienste unter den gesundheitspolitischen Auflagen fast wie eine “Verhöhnung Gottes”. Der Betreffende ist mittlerweile ganz aus der Kirche ausgetreten. Ich kann den Frust, den Ărger und die EnttĂ€uschung bis zu einem gewissen Grad verstehen.
Corona â Angriff des Bösen
Manche Christen aus unterschiedlichen Konfessionen sehen in der Corona Pandemie und in seinen politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und spirituellen Konsequenzen einen Angriff des Bösen auf den Glauben und das Christentum. WĂ€re dem so, mĂŒssten wir dann nicht gerade widerstehen und zur Kirche gehen? Zugegeben, auch ich bin nicht einverstanden mit dem Opportunismus eines groĂen Teils der Kirche(n) gegenĂŒber den gesundheitspolitischen MaĂnahmen. Sollte gegen die Restriktionen nicht viel mehr Protest zu hören sein. Sollten wir unsere Stimmen in der Liturgie und im Gottesdienst nicht eher noch lauter erheben, noch schöner, besser und mehr singen als zuvor, mit mehr Gottvertrauen reagieren, anstatt uns Ă€ngstlich zurĂŒck zu nehmen?
Was ist richtig, was ist falsch?
Ja. Aber es gibt eben auch viele Menschen, die in dieser Krise Angst bekommen und sich um ihr Leben und um das Leben ihrer Freunde und Angehörigen sorgen, Menschen, die sich der Angst verbreitenden Berichterstattung nur schwer entziehen können. Ihnen können wir nicht einfach mit der Ansage begegnen, dies sei alles Unsinn, zumal ja auch wir selbst, mir jedenfalls geht es so, verunsichert sind und oft nicht mehr wissen was richtig und was falsch ist. Ăngste und Unsicherheiten lassen sich nicht so leicht mit rationalen Argumenten ausrĂ€umen und schlieĂlich gibt es in dieser Krise sehr viele widersprĂŒchliche Informationen und daher auch unterschiedliche persönliche Bewertungen, die wir akzeptieren sollten. Wir mĂŒssen unsere NĂ€chsten in ihrer persönlichen Bewertung und in ihren Ăngsten und Unsicherheiten Ernst nehmen. Und soweit möglich weiter das GesprĂ€ch suchen und prĂ€sent sein.
Individuelle Lösungen
Einigen in meinem Freundes- und Bekanntenkreis fehlt dazu allerdings die Kraft und die Ausdauer. Die Betreffenden sehen eine individuelle Lösung fĂŒr sich im RĂŒckzug, im Versuch der individuellen Vertiefung der persönlichen Beziehung zu Christus. Nach katholisch-orthodoxem Glauben allerdings bildet die Christenheit in der Gesamtheit ihrer Glieder in Episkopat, Klerus und glĂ€ubigem Volk den einen Leib Jesu Christi. Wenn sich nun eines seiner kleinsten Glieder, der einzelne Christ, dauerhaft von diesem Leib entfernt respektive sich fĂŒr lĂ€ngere Zeit von diesem Leib trennt, dann verliert er schlimmstenfalls auf lĂ€ngere Sicht die Verbindung zu Christus. Nach katholischer Ăberzeugung ist ein christliches Leben auĂerhalb der Kirche, die in ihrer Gesamtheit den Leib Christi bildet, gar nicht möglich. Die Protestanten mögen da anderer Auffassung sein.
VergegenwÀrtigung in der Eucharistie
Ein christliches Leben setzt aber nach katholischer Ăberzeugung ein Leben als Teil seiner Kirche voraus. Und diese seine Kirche sammelt und vergegenwĂ€rtigt sich immer wieder in der Eucharistie. Ein christliches Leben ist daher gleichsam auch ein eucharistisches Leben. Ein RĂŒckzug von der Kirche, weil einem aktuell die kirchliche Position nicht passt, kann daher, jedenfalls aus katholischer und orthodoxer Perspektive, kein Lösung sein. Verstetigt sich dieser RĂŒckzug, fĂŒhrt das zu einer Entfernung von Christus. Aussteigen ist also keine Option. Wer etwas Ă€ndern will, sollte dies in der Kirche versuchen, oder, wenn das gar nicht möglich ist, sich einer anderen Gemeinde beziehungsweise einer anderen Teilkirche anschlieĂen. Die Worte von Jesus Christus sind klar: Amen, amen, das sage ich euch: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch. / Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am Letzten Tag. / Denn mein Fleisch ist wirklich eine Speise und mein Blut ist wirklich ein Trank. / Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm (Joh 6, 53 – 56).
Die Aufgabe der Kirche ist es nicht primÀr, sich politisch zu positionieren sondern den Menschen den Weg zu Christus zu ebenen und dem Volk Gottes jenen Raum zu geben, in dem sie sich immer wieder als Leib Christi erneuern und vergegenwÀrtigen können.
In der Kirche bleiben
Auch wenn ich die Haltung der Kirche in dieser zu groĂen Teilen medial inszenierten “Pandemie” kritisch sehe, wenn ich mich oft Ă€rgere, auch in der Gemeinde und manchmal auch ĂŒber die Gemeindeleitung, so plĂ€diere ich doch dafĂŒr, in der Kirche zu bleiben. Ein Gemeindewechsel oder der Wechsel in eine andere Kirche kann manchmal notwendig sein, sich jedoch vollstĂ€ndig ins Private zurĂŒckzuziehen, ist, so befĂŒrchte ich, aus den genannten GrĂŒnden nicht gut. Jene, die gehen, fehlen in der Gemeinde, sie begeben sich selbst der Chance, andere Akzente zu setzen und hier und da einen anderen Umgang mit der Situation anzuregen. Nimm Dein Kreuz, sagt Christus. Ja, unter diesen Bedingungen trotzdem zu bleiben, mag einigen als Kreuz erscheinen. Aber es behauptet ja auch niemand, dass Christsein leicht ist.
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