Was braucht der Markt – Freiheit oder Regulierung?

Kurz vorweg: Morgenländer hat meinen vorherigen Beitrag kommentiert und ich habe darauf jetzt doch wieder etwas umfassender geantwortet. Deswegen möchte ich Kommentar und Antwort hier in einem neuen Artikel zusammenführen und gehe einmal davon aus, dass Sie, Morgenländer, damit einverstanden sind, dass ich Ihren Kommentar quasi hier herauf hole.

„Guten Morgen,
meine Formulierung über den Unternehmer, der kein privater Konsument sei, war etwas missverständlich: Als Nachfrager von Kpaital und Arbeit ist er dies nicht; selbstverständlich wird er aber einen Teil des Produktionsertrages privat konsumieren.
Ihr Hinweis auf ‘Friktionen’ ist selbstverständlich richtig, berührt aber nicht mein Ausgangsargument. Mir ging es darum, dass es keine allgemeine Überproduktion geben kann; dass einzelne Unternehmen am Markt vorbei produzieren können, bestreite ich nicht.
Die These, dass es keine allgemeine Überproduktion geben könne, ist mehr als eine Spitzfindigkeit: Häufig werden Exportsubventionen (ja, sogar imperialistische Kriege) mit der angeblichen Notwendigkeit begründet, neue Märkte zu erschließen. Eine solche Notwendigkeit gibt es aber nicht:
Wer exportiert, importiert (es sei denn, das Zielland hat auf Pump gekauft und begleicht seine Schulden nicht – dann hat der Exporteur seine Waren sozusagen verschenkt). Das heißt: die Kaufkraft war in der Exportnation bereits vorhanden. Letztlich profitiert ein Land in erster Linie von seinen Importen, indem es durch sie nämlich Güter erwirbt, die es selsbt nicht (oder nur ungleich teurer) herstellen könnte.
Dies, und nicht die angebliche Tendenz des Kapitalismus zur ‘Überproduktion’, macht Freihandel und Globalisierung sinnvoll.
Viele Grüße
Morgenländer“

Wer exportiert, importiert gleichzeitig? Das finde ich nicht zwingend logisch. Deutschland hat beispielsweise in den vergangenen Jahren wesentlich mehr exportiert als importiert und dabei einen kapitalen Handelsbilanzüberschuss erwirtschaftet. Bezahlt haben das etliche der Importnationen auf Pump, also mit nicht vorhandenem, sonderm geliehenem Geld. Das, die enorme Verbilligung der Ware Arbeitskraft um der Preis der Verarmung der Unter- und von Teilen der Mittelschichten, sowie die keynsianistisch orientierten Wirtschaftsubventionen a la Abwrackprämie, haben Deutschland über die letzte Wirtschafts- beziehungsweise Überproduktionskrise gerettet. Dass es eine solche nicht geben kann, mag zwar in der wirtschaftsliberalen Theorie richtig sein. Die aber bleibt letztlich abstrakt und selbstreferentiell, in der Praxis versagt sie kläglich. Das, was Sie am „Markt vorbei produzieren“ nennen, ist die Regel, nicht die Ausnahme. Es mag ja sein, dass es in dem auf sich selbst verweisendem wirtschaftsliberalen Konzept “keine allgemeine Überproduktion geben kann;” “sondern hier lediglich einzelne Unternehmen am Markt vorbei produzieren” können. Dann aber ist dieses Vorbeiproduzieren eine zyklische Regel und nicht die Ausnahme, und wo etwas zur Regel wird, hat es zumeist auch strukturelle Ursachen. Der Markt ist leider keineswegs so selbstregulierend, wie es die selbstreferentielle wirtschaftsliberale Theorie erscheinen lässt. Zugegebenerweise stellt der Markt immer wieder einen Ausgleich her. Er reagiert auf Marktsättigung mit selbsrregulierenden Mechnanismen. Absatzprobleme resultieren, die auf Hochtouren am Markt vorbeilaufende Produktion muss herunter gefahren werden. In der Regel bedeutet das die Freisetzung vom Arbeitskräften und all die anderen bekannten Symptomen der zyklischen Krise. Das reguliert sich dann selbst, entweder durch eine Umstellung und Verlagerung der Produktion, durch Marktbereinigung, sprich Wirtschaftspleiten, oder auch durch Interventionen des Staates, New Deal, Rüstungsproduktion, Abwrackprämie, wenn’s hart kommt in der Tat auch schon einmal durch einen Krieg. Die harmonische Selbstregulation der Märkte durch eine angebotsorientierte Wirtschaftpolitik ist eine Fiktion, die in der Realität immer versagt hat, und deren Logik sich mir, ehrlich gesagt, auch immer noch nicht erschlossen hat. Im Grunde ist der freie Markt selbst schon eine Fiktion, oder sagen wir ein Kunstprodukt, das in der wirtschaftlichen Realität gar nicht vorkommt. Selbst die Entstehung von Märkten und von wirtschaftlichem Wachstum hat immer schon erhebliche staatliche Interventionen und Schutzmaßnahmen zur Voraussetzung gehabt. Das jüngste Beispiel ist die nachholende Entwicklung Chinas; dass seine Märkte zum Teil immer noch gegen störenden ausländischen Einfluss abschotten muss. Im übrigen lässt sich mit den wirtschaftsliberalen Theorien des 18. Jahrhundert, einer Zeit also, in der in Deutschland überhaupt erst die Industrialisierung begann, kaum die heutige Wirklichkeit erfassen. Die These etwa, dass die Güterproduktion immer wieder den Warenkreislauf quasi von selbst befeuert, in dem das aus der Produktion erzielte Geld dazu drängt, möglichst schnell wieder der Produktion neuer Güter zugeführt zu werden, dürfte in den Zeiten des exzessiven Kapitalhandels empirisch nicht zu halten sein. Kapital drängt zur Reproduktion durch Kapitalvermehrung, das kann es jedoch offenkundig in der gegenständlichen Welt gar nicht mehr in ausreichenden Maße realisiert werden, und aus diesem Grund wird es virtuell.
Das Problem der Reichweite der Theorie gilt indes sicher auch für Marx, der zwar meines Erachtens nach die umfassendste und kohärenteste Wirtschaftsanalyse des 19. Jahrhunderts abgeliefert hat, aber eben auch nur in den Grenzen urteilen konnte, die seine Zeit ihm gesetzt hat.
Die Wirtschaftkreisläufe, die die Väter des Wirtschaftsliberalismus – zumindest in Deutschland – beobachten konnten, waren in der Regel kleine, noch vom agrarischen Sektor oder dem Manufakturwesen geprägte regionale Märkte, die erst im Entstehen, und daher noch ganz anderen Bedingungen und Einflüssen ausgesetzt waren, als die heutigen Ökonomien. Sie haben dann in der Tat allerdings eine immense Dynamik entwickelt, die innerhalb einiger Jahrzehnte schon zu der ersten Globalisierung geführt hat und dann in einen Krieg mündete.
Die Globalisierung heute hat nur dort positive Effekte, wo sie gesteuert und staatlich reguliert wird, wie etwa in China. Die von IWF und Weltbank zwangsliberalisierten Ökonomien legen am Boden. Die Globalisierung hat Gewinner und massenhaft Verlierer produziert. In den sogenannten Schwellenländern wie Indien oder Brasilien wächst einerseits der Reichtum, andererseits aber auch die Massenverelendung. Die Welt spaltet sich in Gewinner und Verlieren, Globalisierung und politische Dissoziation, Ethnisierung, Tribalisierung und organisierte Krimialität, gehen Hand in Hand.
Ich bestreite nicht, das der Markt große wirtschaftliche Potenziale freisetzen kann und historisch freigesetzt hat. Eine Wirtschaftsordnung, die nur auf eine zentrale Planung setzt, kann, wie sich gezeigt hat, den Bedürfnissen der Menschen nur sehr unzureichend gerecht werden. Ich denke schon, dass wir eine Marktwirtschaft brauchen. Eine Marktwirtschaft jedoch, die sich den Bedürfnissen und Interessen der Menschen unterordnet und sich nicht umgekehrt die Menschen und das Gemeinwesen unter dem Vorzeichen der Kapitalvermehrung gefügig macht und sich ihnen gegenüber verselbstständigt.
Was wir brauchen ist, da stimmen Morgenländer und ich vielleicht sogar überein, eine Wirtschaftspolitik, welche die produktiven Sektoren der Wirtschaft, in der Regel kleine und mittlere Betriebe – von mir aus auch steuerlich – begünstigt. Demgegenüber muss brach liegendes Kapital, also größe Vermögenssummen, die keinen produktiven oder gemeinwesenbezogenen Zwecken dienen, auch in großem Umfang abgeschöpft werden. Einrichtungen der öffentlichen Infrastruktur, wie Post, Bahn, Energie- und Wasserversorgung, sind wieder in die öffentliche Hand zu überführen. Es muss Ernst gemacht werden mit dem Verfassungsgrundsatz, “Eigentum verpflichtet”. Ebenso wie die Abschöpfung von unproduktiven hohen Vermögen, sind die Finanzmärkte und Kapitalgeschäfte großzügig zu besteuern. Im Bereich der öffentlichen Infrastruktur und der Gesundheitsversorgung sind staatlich subventionierte Arbeitsplätze zu schaffen, wie überhaupt Bereiche der öffentlichen Infrastruktur, wie etwa die Gesundheitsversorgung, vollständig von jeglichen Profitinteressen zu befreien sind. Großkonzerne sind wirkungsvoll staatlich zu regulieren und zu kontrollieren, im Zweifelsfall in Gemeineigentum zu überführen.
Das in etwa wären die wirtschaftlichen Sofortmaßnahmnen, unter denen ein Markt quasi wieder zu sich selbst kommen und gleichsam zu einem Instrument der Produkion und Verteilung von Gütern im Interesse der Allgemeinheit werden könnte.

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