Schmelzende Eisberge (Zur Causa Andreas Sturm)

Andreas Sturm (vormals Generalvikar des Bistums Speyer) muss raus aus “dieser Kirche”. So kĂŒndigt er es provokativ im Titel seines inzwischen erschienenen Buches an. Um welche Kirche geht es? Um die römisch-katholische, natĂŒrlich, deren deutsche Bischöfe derzeit in großer Zahl auf dem synodalen Weg in Richtung Zeitgeist wandeln. Dieser Weg indes scheint Andreas Sturm, vormals Generalvikar des Bistums Speyer, zu lang und zu unsicher zu sein. Er habe keine Hoffnung mehr auf VerĂ€nderungen in “seiner Kirche”.

Synodale Holzwege

Daher hat Andreas Sturm die AbkĂŒrzung gewĂ€hlt und wandelt jetzt auf dem anderen synodalen Holzweg, dem alt-katholischen, der bereits dort angekommen ist, wo jener in der römischen Kirche erst noch hin strebt, beim Zeitgeist mit seinen Gendersternchen, “Ehesakramenten” fĂŒr homosexuelle Paare und geweihten “Priester*innen”. Bei all dem eben, was linksgrĂŒner Mainstream und mediale Öffentlichkeit in der römisch-katholischen Kirche auch haben wollen, wenngleich sie sich fĂŒr deren Wohlergehen ansonsten eher wenig interessieren. Sie soll sich auf Biegen und Brechen der Welt angleichen, damit sie wieder dazu gehören darf. Und das wollen inzwischen sogar viele ihrer Bischöfe in Deutschland: Dazu gehören, zur schönen neuen queeren Welt und ihrem Aufstand gegen HeteronormativitĂ€t, Ewig-Gestrigen und “Verschwörungstheoretikern mit archaischem Erlösungsglauben” (Sturm 2022: S. 129).
Auf der Website des Bistums Limburg, dessen Bischof Dr. Georg BĂ€tzing, immerhin Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz, ist, zollt man dem ehemaligen Generalvikar Respekt. Weil er keine Hoffnung mehr habe und an VerĂ€nderung nicht mehr glauben könne, handele er konsequent und spreche damit “Hunderttausenden aus der Seele”. So goutieren bereits die Bischöfe selbst den Kirchenaustritt. Warum sollte also noch jemand römisch-katholisch bleiben? Tritt vielleicht demnĂ€chst die gesamte deutsche Bischofskonferenz geschlossen zu den Alt-Katholiken ĂŒber, weil sie “keine Hoffnung mehr hat”?

Einsturz des Kartenhauses

Wie fĂŒr Georg BĂ€tzing ist auch fĂŒr Andreas Sturm der offenbar gewordene massenhafte Missbrauch MinderjĂ€hriger durch Priester der römisch-katholischen Kirche Ausgangspunkt seiner Opposition gegen den Katechismus und die Morallehre der Kirche. Durch die Veröffentlichung der MHG-Studie zum Missbrauch in der Kirche sei sein „Kartenhaus von Gewissheiten, AusflĂŒchten und Relativierungen” zusammengestĂŒrzt, schreibt Sturm. Die Ursache verortet er, im Einklang mit den Verlautbarungen des Synodalen Weges, in „klerikalem Machtmissbrauch“, der sich, Sturms Auffassung zufolge, nur durch Frauenordination, synodalen Entscheidungswegen und Änderungen der Kirchenlehre in den Bereichen SexualitĂ€t und Partnerschaft ĂŒberwinden ließe.
Sturm beschreibt eindrĂŒcklich das Leid und die Zerstörung, die der Missbrauch durch Priester bei den Menschen verursacht hat. Sein Buch hat hier durchaus starke Seiten und seine persönliche Betroffenheit ĂŒber die Schicksale der Opfer, mit denen er das persönliche GesprĂ€ch suchte, ist eindringlich und glaubhaft. Das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs sei in der römisch-katholischen Kirche höher, als in anderen Bereichen der Gesellschaft, sagt Sturm, eine Aussage, die sich wohl empirisch weder belegen noch widerlegen lĂ€sst. Sexueller Missbrauch, soviel weiß man, kommt am hĂ€ufigsten im familiĂ€ren Umfeld vor. Auch in der evangelischen Kirche sowie in anderen pĂ€dagogischen Einrichtungen und Heimen, so im Übrigen auch in der ehemaligen DDR, gab es massiven Missbrauch und nicht zuletzt haben AnhĂ€nger der grĂŒn-alternativen Bewegung bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts hinein öffentlich das Recht auf Sex mit Kindern gefordert und als Akt der sexuellen Befreiung propagiert. Aber selbst, wenn der Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche quantitativ Ă€hnlich hoch wie in der Gesamtgesellschaft respektive in anderen Organisationen war, so wĂ€re das schon schlimm genug. Denn die Kirche wird zurecht an ihrer eigenen Morallehre gemessen, die doch Schutzraum und Bollwerk gegen ausufernde Begierden und Leidenschaften sein soll.

Ursache Zölibat?

Die Ursachen fĂŒr die Verbrechen von Priestern an MinderjĂ€hrigen sieht Sturm, wie auch die Mehrheit des Synodalen Weges, in klerikalem Machtmissbrauch und im Pflichtzölibat römisch-katholischer Priester. Sicher wird die zölibatĂ€re Lebensform fĂŒr manchen in der Welt lebenden Priester in einer zunehmend sexualisierten Gesellschaft als Folge der Achtundsechziger-Bewegung zu einer immer grĂ¶ĂŸeren persönlichen Herausforderung geworden sein. Sturm beschreibt ausfĂŒhrlich und kompetent die persönlichen und sozialen Schwierigkeiten, die mit dieser Art zölibatĂ€ren Lebens verbunden sind. Er beschreibt die Schwierigkeiten im persönlichen Umgang mit der verdrĂ€ngten SexualitĂ€t und mit der Vereinzelung der Priester. Und er gibt Anregungen fĂŒr Lösungen, etwa durch die Bildung priesterlicher Lebensgemeinschaften zur Abwendung von Vereinzelung und Einsamkeit. HĂ€tte er hier als Generalvikar öffentlich die Stimme erhoben, eine Problemanalyse geleistet und LösungsansĂ€tze prĂ€sentiert, ohne die kirchliche Tradition und das Priestertum in seiner tradierten Form insgesamt in Frage zu stellen, sein Buch hĂ€tte ein wichtiger und konstruktiver Reform-Impuls sein können. Denn der Pflichtzölibat in seiner jetzigen Form ist weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart alternativlos in der apostolischen Tradition gewesen, wie wir etwa aus den unierten und kanonischen orthodoxen Kirchen wissen.

Auf Kollionskurs mit der Welt

Sturm jedoch sieht die ganze apostolische Tradition insbesondere hinsichtlich der Priestertums, des Ehesakraments und der Morallehre auf Kollisionskurs mit einem Eisberg, „und dass die Leute auf der BrĂŒcke den Kurs nicht Ă€ndern wollen”. Dieses Schiff will er verlassen, als “Mensch und Priester”.
Wer oder was aber ist dieser Eisberg, der sich auf Kollisionskurs mit der Kirche befindet? Es ist die Welt, und Sturm scheint zu befĂŒrchten, dass die Kirche an ihm zerschellen wird. Doch eigentlich mĂŒsste er die Zusage kennen, dass gerade das letztlich nicht passiert: “Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die MĂ€chte der Unterwelt werden sie nicht ĂŒberwĂ€ltigen. (Mt 16, 18).

WillkĂŒr der Christus-Interpretation

In seiner Argumentation fĂŒr das Frauenpriestertum oder die Segnung von homosexuellen Paaren rekurriert Sturm auf Gleichberechtigung. Die Verweigerung des Zugangs zum Priestertum fĂŒr Frauen oder der Segnung von homosexuellen Beziehungen sei diskriminierend, meint er. Homosexuelle Paare nicht zu segnen, Frauen nicht zu “Priesterinnen” zu weihen, hĂ€lt er fĂŒr Ausgrenzung.
“Was aber ist das fĂŒr eine Kirche, die nicht dem Beispiel Jesu folgt, der auf alle Menschen zuging und gerade auf die am Rande?” insistiert er. (Sturm 2022, S.92). Gewiss hatte Jesus unter seinen AnhĂ€ngern und AnhĂ€ngerinnen auch viele Frauen. Das ist bezeugt. Seine Apostel indes, die er am Abend vor seinem Tod mit der Feier der Eucharistie und bei seinem Erscheinen nach der Wiederauferstehung mit der SĂŒndenvergebung beauftragt und in die Welt ausgesandt hat, waren nun einmal MĂ€nner. Wer Jesus zum Kronzeugen fĂŒr ein „Recht“ auf das Frauenpriestertum machen will, der modelt ihn sich so, wie er ihn gerade fĂŒr die eigenen Anliegen braucht. Aufgabe und Auftrag der Kirche aber ist es, solch eine WillkĂŒr in der Christus-Interpretation zu verhindern. Ähnliches gilt fĂŒr das Thema HomosexualitĂ€t. Homosexuelle Praktiken werden sowohl im Alten als auch im Neuen Testament negativ beurteilt. Diese Botschaft kann man eigentlich nur dann in ihr Gegenteil verkehren, wenn man die Schrift nicht als geistlich inspiriert, sondern als zeitgeschichtliches Dokument ansieht, das lediglich die herrschende Moral einer bestimmten Epoche abbildet und ihre Bedeutung fĂŒr die Gegenwart als im weitesten Sinne symbolisch ansieht. Dann kann man sich einen Jesus „stricken“, der alles Mögliche gutgeheißen hĂ€tte, da er ja „gegen Diskriminierung und Ausgrenzung“ eingetreten ist. Dies ist letzten Endes die Perspektive der sogenannten Kritischen Bibelexegese, die mithin den Glaubensverlust in der heutigen Zeit bis in die theologischen FakultĂ€ten hinein grundiert hat.

Vorbild FrĂŒhe Kirche

Die frĂŒhe Kirche hat sich in ihren AnfĂ€ngen in einer vergleichbaren Situation befunden wie heute. Sie war konfrontiert mit einer sexualisierten Gesellschaft, in der wechselnde Partnerschaften, PromiskuitĂ€t und HomosexualitĂ€t weit verbreitet und anerkannt waren und in der Frauen selbstverstĂ€ndlich als Priesterinnen in verschiedenen paganen Kulten fungierten. Die Kirche hat jedoch keineswegs dazu aufgefordert, diese Praktiken zu ĂŒbernehmen, damit sie akzeptiert wird und neue AnhĂ€nger gewinnt, sondern sie hat sich bewusst in Opposition dazu begeben und das Evangelium verkĂŒndet. Und genau daran ist sie gewachsen. So haben wir doch eigentlich ein Rezept fĂŒr den Umgang mit dem Eisberg des modernen Zeitgeistes.

Die Benedikt-Option: Den Eisberg zum Schmelzen bringen

Rod Dreher, zur Orthodoxie konvertierter Christ in den USA, hat in seinem 2019 in Deutschland erschienen Buch, “Die Benedikt-Option”, den Niedergang des Christentums in den westlichen LĂ€ndern analysiert. Er plĂ€diert weder dafĂŒr, die christliche Lehre dem Zeitgeist anzupassen, noch, auf dem politischen Feld gegen diesen Niedergang anzukĂ€mpfen. Sein Rezept ist jenes, dass bereits die ersten Christen im Römischen Reich erfolgreich praktizierten: Die frĂŒhen Christen waren nicht deshalb erfolgreich, weil sie sich an das christenfeindliche Umfeld anpassten, sondern weil sie eine Alternative dazu praktisch vorlebten und das Evangelium verkĂŒndeten. Das Christentum in seinen AnfĂ€ngen verbreitete sich durch Liebe und durch die Entstehung einer christlichen Gegenkultur. Davon mĂŒssen wir lernen. Das Christentun wird nicht ĂŒberleben, wenn wir versuchen, uns der Moderne anzupassen. Es wird ĂŒberleben, wenn wir uns nicht anpassen sondern eine Alternative in Form einer auf Gott hin ausgerichteten Lebensweise praktizieren.
Wenn die Kirche wieder zum strahlenden und wÀrmenden Licht des Evangeliums in einer zunehmend unsicheren und krisenhaften Welt wird, dann wird sie nicht an dem Eisberg zerschellen sondern ihn vielmehr zum schmelzen bringen.
Man kann darĂŒber spekulieren, ob die Alt-Katholiken weiteren Zulauf bekommen, sobald der Synodale Holzweg endgĂŒltig am römischen Fels zerschellt ist. Wahrscheinlich wird am Ende der Weggang frustrierter Maria 2.0 Apologeten/innen der römischen Kirche wesentlich dienlicher sein, als den sie aufnehmenden Alt-Katholiken.
Der heutige Zeitgeist mit seinem ganzen Gender-Unfug, seinen Christopher Street Days und anderen postmodernen Kopfgeburten wird irgendwann ĂŒber kurz oder lang Schnee von gestern sein.
Die Kirche mit ihrer Lehre ist dann immer noch da und wahrscheinlich wird sie schöner denn je erstrahlen!

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