Es war, wie es aussieht, eine kurze Hype. Jetzt, am Tag drei der Bekanntgabe ihrer Trennung, ist die Angelegenheit Christian und Bettina Wulff noch nicht einmal mehr den Lokalreportern der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung eine Zeile wert – und das ist vielleicht auch gut so. Nur die „Bunte“ und vielleicht einige andere Gazetten, die auf das Wühlen im Müll sogenannter Promis spezialisiert sind, bleiben am Ball und erteilen den Objekten ihrer Aufmerksamkeit ungebetene Stilberatung: Bettina Wulff solle jetzt Kleidung tragen, in der sie sich wohlfühle und die ihre Persönlichkeit unterstreiche.
Ah ja: Das hatte sie ja schon in ihrem sich inzwischen als LadenhĂĽter erweisenden Buch eingefordert: mehr von Was-auch-immer fĂĽr sich zu haben und mehr auf sich achten zu wollen, und das mĂĽsse auch der Christian jetzt endlich lernen. Ich erlaube mir jetzt mal folgende persönliche Einschätzung: Derartiges werden all jene Männer aus den Post-68-Generationen kennen, die schon einmal mit einer Frau zusammengelebt haben, die ihren Abschied aus der Partnerschaft respektive Ehe plante. „Du nimmst keine RĂĽcksicht auf meine GefĂĽhle, du bist nur mit dir selbst beschäftigt“, und so weiter und so fort. Hatte sich die Bettina nicht gerade einen ausgesucht, von dem sie von vorn herein wusste, dass er im Rampenlicht der Ă–ffentlichkeit steht, einen zeitaufwendigen Job macht und eher wenig Kapazitäten fĂĽr die regelmäßige Selbst- und Beziehungsinspektion hat. Na klar, deswegen wollte sie ihn vermutlich ja, einen wichtigen und – mehr oder weniger – mächtigen Mann, dessen mediale Bedeutung auf stark narzisstisch geprägte Persönlichkeiten eine unwiderstehliche Anziehungskraft hat. Wahrscheinlich ist der Christian schon in jenem Moment, in dem er scheiterte, und in dem es wirklich einmal um GefĂĽhle ging, fĂĽr sie uninteressant geworden. Spekulation, Machogelaber, Unterstellungen? Dabei sind doch jene Wahrheiten, die Bettina Wulff literarisch „jenseits des Protokolls“ zum besten gab, derart profan, dass sie jedem schlechtem Studenten-WG-Geklöne der letzten zwei bis drei Jahrzehnte entnommen sein könnten. Allein, Profanes profan zu nennen und schlichte aber nicht ganz abwägige Zusammenhänge auszusprechen, kann schnell in den Ruch des Frauenfeindlichen und politisch Inkorrekten geraten. Das durfte etwa der FDP-Bundestagsabgeordnete Hans-Joachim Otto erfahren. Nicht so ganz gelungen gab er vor einigenv Tagen auf Twitter zum Besten: „Die Vorgänge, die Christian Wulff sein Amt gekostet haben, hat er nur getan, um Bettina zu imponieren. So sind (manche) Frauen.“ (…) „Zweifeln Sie ernsthaft daran? ALLE VorwĂĽrfe stammen aus der Zeit mit Bettina, kein einziger aus der Zeit mit Christiane.“ DafĂĽr erhielt Otto aber von dem oder der nicht namentlich genannten Berichterstatterin der Internet-Ausgabe des The European eine ganz gehörige Watschen: „Mit diesem Frauenbild-Eintopf ist der Weg nicht mehr weit bis nach Indien.“
Autsch! Nicht, dass ich jetzt hier fĂĽr die FDP Partei ergreifen will. Aber so ein bisschen tendiert diese Reaktion schon in Richtung jenes Feminismus, der in jedem Manne mit vermeintlich „falschem Frauenbild” ohnehin schnell, allzu schnell, einen Vergewaltiger wittert. By the way: Was haben doch die 1970er und 1980er Jahre fĂĽr schöne Stereotypen hervorgebracht. Einen normierten Diskurs, in dem alles, nach der kurzen Erosion in den 1960ern, wieder seinen Platz hat und in der neben dem alten autoritätshörigen SpieĂźer nun der neue SpieĂźertyp des linksalternativen KleinbĂĽrgers entstanden ist, der mit seinen psyeudolinken Allerweltswahrheiten jedes selbstständige Denken genauso hasst wie frĂĽher der preuĂźische Untertan.
Interessant wird dieses, nennen wir es einmal, Ende einer Affäre, deshalb, weil es Identifizierungen zu allen Seiten hin möglich macht. Es kann sich mit all dem aufladen, was die Menschen so zum Thema Partnerschaft, Ehe und Beziehungen auf der Seele haben. Es verdichten sich darain quasi die gesellschaftlichen Diskurse ĂĽber das Private. Mir beispielsweise tut ja eher der Christian leid, vielleicht, weil dieses Verlassenwerden, der Absturz nach dem Ăśberschwang, etwas mir Bekanntes ist. Andere, die dem Christian Wulff die Neue neideten, weil sie selbst gern einmal ausbrechen ÂwĂĽrden – Wulff selbst hat ja vor Papst Benedikt XVI von einem Bruch geredet – haben jetzt vielleicht wohlfeilen Anlass zur Häme, und auch die Bettina bietet gewiss genug Potenzial fĂĽr etliche Projektionen, eine wurde ja schon vorgestellt.
NatĂĽrlich spreche auch ich wie alle direkt oder indirekt Beteiligten von einer ganz spezifischen Position aus. Und die ist dem Mitleid mit einem armen SĂĽnder, der nach einem scheinbar rauschhaften Aufstieg mit Partys und allem Pipapo von einem tiefen persönlichen und politischen Absturz heimgesucht wurde, näher, als jeder Häme oder dem Ich-muss-jetzt-mal-an-meine-GefĂĽhle-denken-Gerede. Und das ist irgendwie auch gut so. Okay, „Privates ist privat und Mitleid keine politische Kategorie. Wozu auch Mitleid”, fragt der Tagesspiegel: “Christian Wulff dĂĽrfte bis an sein Lebensende finanziell recht gut abgesichert sein.” Stimmt natĂĽrlich. Ein Christian Wulff fällt erheblich weicher als andere in vergleichbarer Situation. Mitleid ist keine politische Kategorie. DarĂĽber kann man streiten, meine ich. Privates ist nicht politisch? Eindeutig falsch.
Hat nicht gerade die mediale Ă–ffentlichkeit das Eheleben von Christian Wulff und Frau zu etwas Politischen gemacht, indem man es gegen die römisch-katholische Kirche und Papst Benedikt XVI in Stellung brachte: Seht her, hier eine moderne strahlende „Patchwork-Familie“, und da der Hort des Gestrigen, Kräfte, die partout an ihren Auffassungen von Ethik und ehelicher Treue festhalten wollen!? Doch jetzt, nach der schnellen Verfallszeit dieses Vorzeigeexemplars der modernen Familie, wĂĽnscht sich sogar die Berliner Tageszeitung (Taz) die echten Wertkonservativen zurĂĽck: „Erstaunlich, dass die Unionsparteien noch immer so hohe Umfragewerte verbuchen können, obwohl vieler ihrer Repräsentanten das, wofĂĽr Konservative einstmals standen, im Privaten längst nicht mehr vertreten. (…) Irgendwann werden auch die Unionsparteien ernsthaft darĂĽber reden mĂĽssen, in welcher Gesellschaft sie eigentlich leben wollen.“
Vielleicht dämmert es ja dem einen oder anderen, dass nicht alles gut ist, was aktuell für gut, schick und „modern“ befunden wird. Und vielleicht sehen auch einige ein, dass die Kirche nicht etwas gutheißen kann, was sie aus theologischer Sicht ablehnen muss, obwohl es einstweilen zum herrschenden Diskurs gehört. Ist es auch richtig, Verhältnisse zu verändern, unter denen die Menschen leiden, unglücklich sind und in denen sie abhängig gehalten werden, so haben sich doch die menschlichen Beziehungen heute tendenziell verdinglicht zu Tauschverhältnissen von Emotionen und gegenseitigen Bedürfnissen zur zeitweiligen Vorteilsnahme. Das, was einst als Befreiung angelegt war, die Befreiung von Abhängigkeiten, hat heute die Neigung, warenförmig zu werden: mein Auto, mein Haus, meine Frau. Die Emanzipation frisst ihre Kinder. Seit den 68ern deren Leitmotiv: die „Selbstverwirklichung“. Sie ist zum Dogma eines bürgerlichen Subjekts geworden, dessen positivistischer Horizont nur noch das erfassen kann, was ihm gerade scheinbar gut tut, ohne dass das Subjekt überhaupt die Frage stellen könnte, was „Selbstverwirklichung“ denn eigentlich sein soll. Und so leidet das Individuum als Mensch immer wieder aufs Neue unter dem, was der Mensch als Subjekt zwanghaft warenförmig affimieren muss.
No Responses