Mal ordentlich zugetazt: Atheismus und Antisemitismus

aufgeschlagene taz
FrĂŒher, ich gestehe es, war ich selbst mal Taz-Leser. Das ist schon lange her. Heutzutage krĂ€useln sich mir oft (nicht immer) FußnĂ€gel, wenn ich dieses neoatheistische BlĂ€ttchen lese. Aber: es gibt, wie wir wissen, Zeichen und Wunder. So hat mir etwa ein Beitrag, der vor einigen Jahren zum Thema Atheismus und Antisemitismus veröffentlicht wurde, ganz gut gefallen.

GĂ€be es keine Religion mehr, so wĂ€ren die wesentlichen Probleme der Menschheit gelöst, das jedenfalls suggerieren Neoatheisten wie Richard Dawkins, Christopher Hitchens oder Michael-Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der religionsfeindlichen Giordano Bruno Stiftung. Letzterer ist Mitautor einer als Kinderbuch prĂ€sentierten Publikation mit dem Titel “Wo bitte geht’s zu Gott . . .?”, das in Verdacht geraten ist, antisemitisch zu sein. Das ein selbstgerechter, zur Ideologie und Ersatzreligion geronnener Atheismus schnell in gefĂ€hrliche NĂ€he zum Antisemitismus gerĂ€t, zeigt der Kulturjournalist Alexander Kissler in seinem Text “Die Wut auf die Differenz”. Der Weg von der Religionskritik zum Antisemitismus war schon immer kurz, sagt Kissler, ob zur Zeit der AufklĂ€rung oder im heutigen Atheismus.

“Kann ein Buch, das von einer “Denkfabrik fĂŒr Humanismus und AufklĂ€rung” gefördert wird, antisemitisch sein? Vor dieser Frage stand die BundesprĂŒfstelle fĂŒr jugendgefĂ€hrdende Schriften. Sie musste am vergangenen Donnerstag auf Antrag des Familienministeriums entscheiden, ob ein Kinderbuch mit dem Titel “Wo bitte geht’s zu Gott . . .?” auf den Index wandert.

Unter der Schale des inkriminierten Kinderbuches verbirgt sich ein Pamphlet fĂŒr atheistische Erwachsene. Nicht aber wegen der Verwirrung der Kategorien, nicht wegen des Anliegens, GlĂ€ubige als wahnverfallene Menschen zu brandmarken, erhitzte die von der Giordano-Bruno-Stiftung geförderte und verteidigte Bilderschrift die GemĂŒter. Auch die schlechtesten, schlichtesten BĂŒcher muss eine liberale Gesellschaft erdulden. Schwer aber wog der Verdacht, hier sei an einigen Stellen die Grenze von der Religionskritik zum Glaubens- und zum Judenhass ĂŒberschritten. Der ReligionspĂ€dagoge Albert Biesinger urteilte, diese “Hetze gegen Juden” sei indiskutabel. Micha Brumlik hielt den Verbotsantrag fĂŒr berechtigt, Stefan Kramer vom Zentralrat der Juden nannte “Wo bitte geht’s zu Gott?” gefĂ€hrlich und befĂŒrwortete eine Indizierung dieses “Machwerks”.

Es kam anders: Das zwölfköpfige Gremium entschied sich gegen eine Indizierung. Die mögliche Verletzung religiöser GefĂŒhle erfĂŒlle nicht den Tatbestand der JugendgefĂ€hrdung. Trotz dieses Urteils kehrte mit der Debatte um das “Ferkelbuch” die Nachtseite einer atheistisch zugespitzten AufklĂ€rung zurĂŒck in die Öffentlichkeit. Diese Nachtseite ist die Versuchung zum Antisemitismus. Ganz gewiss predigt der Autor, zugleich Vorstandssprecher der Bruno-Stiftung, keinen eliminatorischen Antisemitismus. Die Verachtung richtet sich gegen alle Religionen und Religionsvertreter. Die Hauptfiguren des Buches, ein Ferkel und ein Igel, gelangen schließlich zu folgender Erkenntnis: “Wer Gott kennt, dem fehlt etwas! NĂ€mlich hier oben . . .”, sagt das Ferkel und tippt sich lachend an die Stirn.

So lautet die Conclusio nach der Begegnung mit einem wĂŒtenden Imam, einem zornigen Bischof, den die Tiere einen “Menschenfresser” nennen ob seiner Vorliebe fĂŒr Hostien, und einem orthodoxen Rabbiner. Dieser hat schiefe ZĂ€hne, SchlĂ€fenlocken und Vollbart, trĂ€gt ein Kassengestell und erhebt drohend beide Zeigefinger. Er redet von der Sintflut und wird schrecklich laut. Er geht dem Bischof mit einer Torarolle an die Gurgel.

Der Verbotsantrag nahm solche Darstellungen eines “wĂŒtenden Mannes mit entgleisten GesichtszĂŒgen” zum Beleg, hier werde die jĂŒdische Religion als “besonders menschenverachtend, grausam und mitleidslos” denunziert. Zumindest wĂ€re eine solche Stoßrichtung weder neu noch originell. Seit der Geburt des Monotheismus, der das Pantheon der grausamen, launischen Götter ablöste, mĂŒssen Juden wie Urchristen sich gegen VorwĂŒrfe zur Wehr setzen. UnlĂ€ngst hat Peter Sloterdijk daran erinnert: “Schon gebildete Römer der frĂŒhen Kaiserzeit fĂŒhlten sich vom Separatismus der Juden so sehr irritiert, dass sie ihnen den Titel ,Feinde des Menschengeschlechts’ anhefteten, den Cicero ursprĂŒnglich zur Ächtung von SeerĂ€ubern geprĂ€gt hatte. Noch der junge Hegel notiert ganz konventionell: ,Ein Volk, das alle anderen Götter verschmĂ€ht, muss den Hass des ganzen menschlichen Geschlechts im Busen tragen.'”

Damals wie heute ist es weniger die den Juden unterstellte Grausamkeit, die das Motiv abgibt fĂŒr platte Beschimpfungen, sondern ihre vermeintliche Neigung zum Separatismus. Wer Dinge tut, die sich nicht im NĂŒtzlichen erschöpfen, Dinge, zweckfrei, aber sinnvoll, einem Höheren zu Ehren, der muss mit Widerstand rechnen. Bei Richard Dawkins, dem SĂ€ulenheiligen der neoatheistischen Bewegung, wie sie sich in der Bruno-Stiftung formiert, heißt es: Die im Judentum “sorgfĂ€ltig geförderten Spaltungstendenzen” reichten aus, um die Religion zu einer “bedeutsamen Kraft des Bösen in der Welt zu machen”. Die sĂ€kulare ErbsĂŒnde, die mit den Juden laut Dawkins in die Welt kam, besteht in ihrer “absichtlichen, gezielten UnterstĂŒtzung der natĂŒrlichen Neigung der Menschen, Gruppenangehörige zu begĂŒnstigen und andere Gruppen auszuschließen”. Ein solches Verhalten fĂŒhre zu Gewalt. WĂŒrden die Menschen sich ĂŒber alle Grenzen von Nation und Glauben hinweg verheiraten, gĂ€be es nach wenigen Generationen keine religiös begrĂŒndeten Konflikte mehr – dieser Hoffnung geben Dawkins und seine Adepten sich hin.

Somit heißt das Credo einer breiten Strömung innerhalb des Neoatheismus: “Das Böse kam von den Juden.” Der Gott des Alten Testaments, schreibt Dawkins, sei “ein rachsĂŒchtiger, blutrĂŒnstiger ethnischer SĂ€uberer; ein frauenfeindlicher, homophober, rassistischer, Kinder und Völker mordender, ekliger, grĂ¶ĂŸenwahnsinniger, sadomasochistischer, launisch-boshafter Tyrann”. An anderer Stelle heißt es: “Das Judentum war ursprĂŒnglich ein Stammeskult um einen einzigen, Ă€ußerst unangenehmen Gott, voller krankhafter Versessenheit auf sexuelle BeschrĂ€nkungen, mit dem Geruch verbrannten Fleisches, mit einem ÜberlegenheitsgefĂŒhl gegenĂŒber Konkurrenzgöttern und mit der ExklusivitĂ€t des auserwĂ€hlten WĂŒstenstammes.” Das vermeintliche Kinderbuch wird ausdrĂŒcklich als “Dawkins for Kids” beworben.

Kurz gefasst: Ohne Judentum kein Christentum und kein Islam, ohne Judentum kein Separatismus, ohne Separatismus kein Übel, keine Gewalt, keine Explosion des Bösen. Gerade indem sie dieser trĂŒben Spur folgen, erweisen sich die Neoatheisten als vorgestrig. Christengegner Celsus urteilte um das Jahr 180: Der “Separatismus der Juden und Christen” stehe der “Religionseinheit der Weltvölker” entgegen. Jenes Volk, das als erstes an den einen Gott glaubte, war dem klugen Celsus ein Dorn im Auge. Er, den sein deutscher Herausgeber bei der Neuauflage 1984 einen “Voltaire des zweiten Jahrhunderts” nannte, verabscheute das Tun der Christen, insofern diese sich auf jĂŒdischen Spuren bewegten und “heimliche Verbindungen untereinander außerhalb der gesetzlichen Ordnungen” bildeten. Dass Juden wie Christen nicht mittun wollten beim staatlich verordneten Polytheismus, dass sie auf ihrem religiösen Eigensinn und also auf Sonderung statt Vermischung beharrten, gereichte ihnen zum Nachteil.

Daran hat sich nichts geĂ€ndert. Der jĂŒdische Stachel treibt die Neoatheisten in die NĂ€he des Antisemitismus, ob Richard Dawkins oder Christopher Hitchens (“Der Herr ist kein Hirte”), der den Horizont des Alten Testaments “bedrĂŒckend beschrĂ€nkt” nennt. Dergleichen BrachialaufklĂ€rung, die Vernunft und Glaubensferne in eins setzt, betrieb schon Ahnherr Voltaire, die “Sonne der AufklĂ€rung”. Er unterstellte den Juden Kannibalismus, ihre Sprache sei ein Plagiat, ihre Leidenschaft fĂŒr Massaker legendĂ€r. Sie trĂŒgen keine UnterwĂ€sche und nĂ€hmen keine BĂ€der. Die Literaturwissenschaftlerin Gudrun Hentges resĂŒmiert: “Unterhalb der Ebene seines Eintretens gegen das Verbrennen der Juden auf dem Scheiterhaufen der Inquisition eröffnet sich ein ganzes Panorama der Judenfeindschaft. Voltaires Bibelrezeption ist darauf ausgerichtet, das angeblich Verachtenswerte der HebrĂ€er/Israeliten/Juden in den Vordergrund zu stellen.”

Auch in der EnzyklopĂ€die Diderots und d’Alemberts aus der Mitte des 18. Jahrhunderts wurden die Juden an den Rand der Menschheitsfamilie gedrĂ€ngt. Diderot suggerierte, das Judentum zu ĂŒberwinden sei im Namen der AufklĂ€rung erforderlich. Es lehre blinden Respekt gegenĂŒber AutoritĂ€t und Tradition, entspreche also nicht den Anforderungen an eine aufgeklĂ€rte Weltanschauung. Folgt man dieser sehr problematischen Sichtweise, dann widersteht das Judentum hartnĂ€ckig allen Appellen von Diderot und dessen Nachfahren an die Einheit des Religiösen, an die Einheit der Vernunft, an die Einheit der Umgangsformen – heute umso mehr, da der Atheismus sich als globalisierungskonforme Weltdoktrin empfiehlt. Der jĂŒdische “Separatismus” ist der grĂ¶ĂŸte anzunehmende Angriff auf die Alternativlosigkeit des sĂ€kularen Denkens. Im Gewand der AufklĂ€rung kehren die Ressentiments des Erzfeindes wider, der Kirche.

Selbst Immanuel Kant sprach von der “Euthanasie des Judentums”, die nötig sei, um zur “allgemeinen Vernunftreligion” vorzustoßen. Das Judentum schließe “das ganze menschliche Geschlecht von seiner Gemeinschaft aus” und stehe dem “reinen, fĂŒr alle Welt gleich einleuchtenden Religionsglauben” im Wege. Kant sah sein Ziel, den einen “ethischen Staat auf Erden”, die eine globale Vernunft, nur jenseits des Judentums realisierbar. Zu Recht weist der Philosoph Kurt Flasch darauf hin, dass Euthanasie hier eine “sanfte Selbstverwandlung der jĂŒdischen, statuarischen Religion in Vernunftreligion” meine. Dennoch ist Kants “aufgeklĂ€rter Antijudaismus” (Steffen Dietzsch) keine QuantitĂ© nĂ©gligeable.

Auch eine “Denkfabrik fĂŒr Humanismus und AufklĂ€rung”, als welche sich die Giordano-Bruno-Stiftung bezeichnet, kann in das trĂŒbe Fahrwasser einer zumindest latenten Judenfeindschaft geraten. FĂŒr diese GefĂ€hrdung ganz unempfindlich zu sein belegt, wie notwendig eine neue Dialektik der AufklĂ€rung ist. Antisemitismus bedeutete immer, so Horkheimer und Adorno, Gleichmacherei und “Wut auf den, der auffĂ€llt ohne Schutz”, ‘Wut auf die Differenz’. Die neoatheistische Bewegung hat ihre Herkunftsgeschichte bisher kaum aufgearbeitet.”

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