Liturgie, Ritus und die altkatholische Kirchlichkeit

Priester und Diakone am Altar

Liturgie verstehen

Seit dem Zweiten Jahrhundert nach Christi Geburt wird in der Römischen Kirche das Latein als liturgische Sprache verwendet. Davor feierte man die Gottesdienste auf Griechisch, doch das beherrschten im Rom der Spätantike nur noch wenige. Die Verwendung des Lateinischen folgte zunächst rein pragmatischen Gründen, die Leute sollten verstehen, was gesungen und gebetet wurde.
Der Grundsatz, dass die Heilige Liturgie verständlich sein soll, gilt in den Ostkirchen seit jeher als Selbstverständlichkeit. Deshalb verwenden die orthodoxen Kirchen in Deutschland neben den Sprachen ihrer einstigen Herkunftsländer, Griechisch, Serbisch, Bulgarisch und so weiter, zunehmend auch Deutsch in den Gebeten und Gesängen der Heiligen Liturgie. Im Deutschen Orthodoxen Dreifaltigkeitskloster in Buchenhagen werden die liturgischen Texte des griechisch-byzantinischen Ritus systematisch in Deutsche übersetzt. Zu einer deutschen Orthodoxie gehört im Verständnis der Mönche ganz selbstverständlich auch die deutsche Sprache als Sprache der Liturgie. Alle Christen sollen am Gottesdienst und am Heiligen teilhaben können, und dazu müssen sie die Gesänge und Gebete verstehen.

Heilige Sprache?

In Westeuropa setzte sich das seit Beginn des Mittelalters vom gemeinen Volk kaum noch verständliche Latein als allgemeine Sakralsprache durch. Das Latein scheint als Kirchensprache lange Zeit als quasi heilige Sprache gegolten zu haben, und für manche ist das offensichtlich immer noch so. Dabei ist es doch das Heilige, das die Sprache heiligt, in der es verkündet und zelebriert wird – und nicht umgekehrt. Mancherorts wird das Latein meinem Eindruck nach überhöht, gerät das Verhältnis zwischen den Heiligen Mysterien und der Art und Weise ihrer Verehrung aus der Balance. Um nicht falsch verstanden zu werden: Jeder und jede, der oder die das Latein und den lateinischen Ritus liebt, soll ihn feiern dürfen. Aber es gibt – wie ich das derzeit sehe – überhaupt keinen Grund, etwa das Lateinische beispielsweise dem Deutschen in der Liturgie vorzuziehen.

Das Wie und Warum der Liturgie

Auf eine Nachfrage hin habe ich mir noch einmal Gedanken darüber gemacht, welche Bedeutung, welchen Sinn die Liturgie hat. Ich denke, zunächst geht in der Liturgie darum, Gott zu ehren.

  • Die Liturgie sollte dabei die in die Tradition der Kirche eingeflossene Erkenntnis und Erfahrung widerspiegeln,
  • das sich in den Mysterien ausdrĂĽckende Heilsgeschehen symbolhaft abbilden,
  • die wirkliche Einheit der Kirche und der Christen in und durch Jesus Christus immer wieder vergegenwärtigen und verwirklichen, insbesondere durch die Eucharistie,
  • der Gottsuche und Gottbegegnung eine sichere Form und einen meditativen Raum geben und
  • das Evangelium verkĂĽnden.

Was die Liturgie daher nicht sein kann, ist schnell gesagt: modern!

Liturgie auf Basis der Subjektivität?

Eine Liturgiereform, wie sie das Zweite Vatikanische Konzil in Angriff nahm, war sicher notwendig und ĂĽberfällig. Was dann bei dieser Reform heraus kam, ist wieder eine andere Sache. Meiner unbedeutenden Meinung nach hätte man dabei die Form des alten Ritus mit dem Canon Romanus im Zentrum wahren sollen. „Die liturgischen Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils”, sagt Peter Gerloff, zum Katholizismus konvertierter ehemaliger evangelischer Pastor, „sind dem BedĂĽrfnis nach ‚Erleben’ weit entgegen gekommen, und Zelebranten und Liturgiekreise bemĂĽhen sich mit unterschiedlichsten Mitteln um ‚eindrucksvolle Gottesdienste’.

Das ist unumgänglich. Aber es hat sich gezeigt, dass Liturgie auf der Basis der Subjektivität nicht funktionieren kann. Eine Weile macht sie (vielleicht) Eindruck und Spaß, danach nicht mehr.
Ist die RĂĽckkehr zum vorkonziliaren Ritus ein Heilmittel? Auch sie kann im Horizont der heutigen Situation nur von subjektiver Erfahrung ausgehen und auf sie hinzielen: das Heilige, Objektive, dem Menschen Entzogene soll (wieder) erfahrbar werden. Aber indem auf Erfahrbarkeit reflektiert wird, ist der Blick gebrochen und zurĂĽckgelenkt auf das erlebende Ich.
Was war ‚früher’ anders? In den ersten Jahrhunderten lag die Wahrheitskraft des Christusglaubens in seiner unerhörten Neuheit, im Geist und Mut seiner Zeugen und in der konkreten Communio. Diese qualitative Differenz zu den überlebten Göttern gab der kirchlichen Liturgie ihre transzendente Dynamik. Vom frühen Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war der christliche Kultus Teil der scheinbar gottgegebenen Gesellschaftsordnung, die als objektiv und statisch wahrgenommen wurde. Aber seit der bürgerlichen Revolution und dem Durchbruch des Kapitalismus in allen Bereichen wird das Quantifizierbare – Geld und Lust – immer unverhüllter zum Maß und Motor aller Dinge.
Eine Rückkehr in die kirchliche Frühzeit oder zur europäischen Ständegesellschaft ist weder möglich noch wünschbar.“

Peter Gerloff – und das macht ihn mir allemal sympathisch, hat kein Patentrezept. Das nur auf sich selbst bezogene Ich ist letztlich eine Konsequenz des totalen Marktes, der die äußeren Lebensgrundlagen und den inneren Lebenswillen der Menschen zerstört, sagt er. „Vielleicht ist unsere Situation apokalyptisch. Dann wäre sie, offensichtlicher als früher, die Situation, in die die Liturgie der Kirche uns seit zwei Jahrtausenden stellt.“

Events fĂĽr das selbstsĂĽchtige Ich

Insofern wir mit allen möglichen Events versuchen, an das selbstbezügliche und -süchtige Ich der Menschen zu appellieren und sie damit zurück in die Kirchen zu bekommen, spiegeln wir nur die marktkapitalistische Deformation und machen uns zu einer ihrer Agenturen. Ginge es doch demgegenüber vielmehr darum, das Heilige durch sich selbst sprechen zu lassen, ja, im Ritus die Wahrheit atmen zu lassen um so ihrer teilhaftig werden zu können.

Reform um der Reform Willen?

In der alt-katholischen Kirche hatten wir schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts einen Ritus in deutscher Sprache, der sich auf die Traditionen der alten Kirche stützte und den Canon Romanus in seiner deutschen Fassung als eucharistisches Hochgebet verwendete. Eigentlich gab es für uns – wie ich meine – keinen wirklichen Grund, es sei denn den der Modernisierung um ihrer selbst willen, unseren Ritus dem reformierten Ritus der römisch-katholischen Kirche anzupassen. Hier hätten wir wirklich einmal etwas Alt-Katholisches bewahren können.
Heute wird die alte Liturgie in der alt-katholischen Kirche oft etwas abfällig als die Thürlings-Liturgie bezeichnet. In Urs Kürys Standardwerk über den Alt-Katholizismus heißt es dazu (Küry, Stuttgart 1978,74):

„1885 gab die Synode ihre Zustimmung zu einer deutschen Bearbeitung der Meßliturgie, die A. Thürlings, ein hervorragender Liturgiker und Hymnologe, in engem Anschluß an das Missale Romanum herausgab. Sein klassisch zu nennendes Werk, das sich an die besten liturgischen Traditionen der abendländischen Kirche hält und dem gregorianischen Gesang wieder den ihm gebührenden Platz einräumt, wurde später durch vereinfachendere Fassungen ersetzt.“

Vereinfachendere Fassungen! Mundgerechter. Konsumierbarer. Über Adolf Thürlings wird heute fast nur noch hinter vorgehaltener Hand geredet, dabei könnten die Altkatholiken stolz auf ihn sein. Ist er es doch, der mit zu den Ersten gehört, welche die traditionelle Liturgie in die deutsche Sprache übertragen haben. Ein Altkatholik im besten Sinne. Vielleicht begann ja wirklich im Jahr 1979 „der Niedergang alt-katholischer Kirchlichkeit“, wie die traditionsgebundenen Schweizer Altkatholiken auf ihrer Website schreiben, „als sich

„die Alt-Katholische Kirche in Deutschland für die Freiheit und gegen die Gebundenheit entschieden, indem sie den Kanon der Messe durch eine ‚Sammlung von Eucharistiegebeten’ ersetzte.
Dies war das Fanal zu einer umfassenden ‚Liturgiereform’, mit dem Ziel einer Angleichung an die neue Messordnung Papst Pauls VI., den dieser bereits zehn Jahre zuvor, am 1. Adventssonntag 1969, durch die Apostolische Konstitution „Missale Romanum“ in Kraft setzte.
Ohne die Marginalisierung des altehrwürdigen Canon Romanus wären die Neuerungen, die darauf folgten, nicht denkbar gewesen. Indem Hand angelegt wurde an den heiligsten Text der abendländischen Christenheit, sahen sich die gleichen Reformkreise ermächtigt, weitere tiefgreifende Eingriffe in das Wesen und die Verfassung der Kirche vorzunehmen mit der Folge, dass die Kirchlichkeit der Alt-Katholiken fraglich geworden ist.“

Ist die (katholische) Kirchlichkeit der Alt-Katholiken fraglich geworden? Ich hoffe nicht! Die Frage würde sich indes neu stellen, wenn irgendwann einmal eine Synode auf die Idee käme, dem Zeitgeist und den Modernitätsforderungen zu entsprechen und eine Bischöfin zu wählen. Für die größten und ältesten Kirchen in apostolischer Sukzession, die Ostkirchen und die römisch-katholische Kirche, hätten wir dann mit der Katholizität auch die Kirchlichkeit weitgehend eingebüßt.

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