Die Postachtundsechziger und ihre Pädophilen

Daniel Cohn-Bendit, grüner Europaabgeordneter und früherer Kampfgefährte Joschka Fischers aus Frankfurter Zeiten, ist wegen des Pädophilievorwurfs in die Schusslinie der medialen Öffentlichkeit geraten. In einem Buch aus dem Jahr 1975 hatte Cohn-Bendit sexuelle Handlungen mit Kindern in einem Kinderladen geschildert, in dem er einige Zeit zuvor als Kinderbetreuer arbeitete. Das, womit der „rote Dany“ sich seinerzeit vor fast 40 Jahren brüstete, ist ihm heute unsäglich peinlich, wie er gestand. Der Zeitgeist unterliegt halt wechselnden Diskursen und was im Denken und Handeln heute potenziell als asozial und kriminell gilt, war vor etwa 40 Jahren noch linksalternativer Mainstream. Sex mit Kindern, das firmierte damals unter dem Etikett des kindlichen Rechts auf Sexualität, jedenfalls, solange es nicht gar zu offensichtlich als Zwangs- beziehungsweise Gewaltakt erkenntlich war.
Die vermeintliche sexuelle Zwangsmoral galt seinerzeit in bestimmten Kreisen als eine der Hauptursachen für die Ausbreitung des Faschismus. Hier bezog man sich hauptsächlich auf Schriften des Freud-Schülers, Psychoanalytikers und Kommunisten Wilhelm Reich. Teilweise spielten auch die Antisemitismus-Studien, die von Angehörigen der Frankfurter Schule während der Zeit des deutschen Nationalsozialismus im US-amerikanischen Exil durchgeführt worden waren, eine Rolle. Von der sexuellen Zwangsmoral müsse man sich mithin befreien, dies war ein wesentlicher Aspekt im Diskurs der linksalternativen Postachtundsechziger. Und unter Freiheit verstand man nicht zuletzt die individuelle Freiheit zur Realisierung der eigenen Ansprüche, Wünsche und Bedürfnisse. „Wir wollen alles, und zwar sofort“, hieß dementsprechend eine der Spontiparolen in der Szene um den späteren Bundesaußenminister Joschka Fischer, schon damals übrigens ein Spezi von Daniel Cohn-Bendit. Soziale Normen wurden in erster Linie als moralische Restriktionen begriffen, die der abgelehnten bürgerlichen Ordnung entstammten. Wo der individualistische und nihilistische Freiheitsanspruch des postachtundsechziger Spontis mit der Freiheit des anderen Individuums kollidierte, konnte die Verantwortung für die psychische und körperliche Unversehrheit des Gegenübers leicht mit dem Verweis auf die bürgerliche Konvention vom Tisch gewischt werden. Denn die bürgerliche Konvention war es ja aus dieser Perspektive, die den Menschen einengte und ihm einen autoritären Zwangscharakter aufprägte. Alles, was das Ausleben der sexuellen Bedürfnisse behinderte, galt zeitweise eher als spießig und reaktionär. Wer sich durch die sexuelle Freizügigkeit, wie etwa den häufigen Wechsel des Sexualpartners oder den bindungslosen Sex, verletzt fühlte, hatte sich eben noch nicht von den bürgerlichen und patriarchalen Zwängen befreit und war daher selber schuld.
Also war alles gut, was diese bürgerliche Konvention sprengte. Alles, was den persönlichen Anspruch auf Freiheit und „Selbstverwirklichung“ einschränkte, erschien als reaktionär. Die von der bürgerlichen Rechtsordnung unter Strafe gestelte Pädophilie galt insofern im Großen und Ganzen als ethisch unproblematisch. Handelte es sich hier doch um ein weiteres Verbot, so dachte man, dass der autoritären und restriktiven bürgerlichen Zwangsmoral entspränge. Der Sex mit Kindern konnte also geradezu als Widerstandsakt, antiautoritäre Praxis und letztlich sogar als emanzipatorisch angesehen werden. So tickte in den 1970er und 1980er-Jahren ein großer Teil der Links- und Grünalternativen. Kein Wunder also, dass sich in ihren Reihen etliche Pädophile tummelten.

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