Emir Nemanja Kusturica, Filmregisseur und Musiker, ist ein Jugoslawe. Durch und durch. Und in allen seiner Filmen hat er dem Land Jugoslawien, diesem Kultur-Amalgan aus serbisch-orthodoxen, katholischen, muslimischen und ziganistischen Einflüssen (nicht zu vergessen die Einflüsse des sephardischen Judentums und des Staatssozialismus titoistischer Prägung), ein meisterhaftes filmisches Denkmal gesetzt. Kusturizas Jugoslawien war ein Land voll strotzender Lebensfreude und abgrundtiefer Melancholie, bevölkert von Menschen, die zu heftigem Jähzorn und kaum zu zügelnder Wut ebenso fähig waren wie zu großer Solidarität, Großmut, tiefer Freundschaft und Liebe. Jugoslawien war das Land, in dem sich Orient und Okzident mit all ihren kulturellen Eigenheiten und Mentalitäten, Gutem wie Schlechtem, auf eine ganz eigene Art und Weise vermischten und etwas Hybrides ausbildeten, das sowohl verschmelzen und gleichzeitig doch auch wieder auseinanderfallen konnte, und dessen Menschen vielleicht schon immer etwas mehr zu emotionalen Ausbrüchen neigten, als die Menschen anderswo.
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Dieses Land gibt es nicht mehr, nur in Kusturicas Filmen, seiner Musik und in anderen kulturellen Zeugnissen lebt es weiter. Es wird wahrscheinlich von weitaus mehreren seiner ehemaligen Bewohner, die sich jetzt Kroaten, Mazedonier, Serben oder sonst wie nennen, betrauert, als man sich hierzulande vorstellen kann. Kusturizas Filme jedenfalls sind zugleich auch immer ein Ausdruck dieser Trauer und der Versuch, sie irgendwie zu bewältigen. Hier, im westlichen Teil Europas und insbesondere in Deutschland, wo insbesondere seit Anfang der 1990er-Jahren viel von multiethnischem Zusammenleben, Toleranz und den Rechten von Minderheiten schwadroniert und der moralische Finger hochgereckt wird, kann man sich von diesem verloren gegangenen kulturellen Amalgam Jugoslawien keinen Begriff machen. Wahrscheinlich konnte man das hierzulande nie.
Das Jugoslawien von einst kann in diesem, aus einner kulturnationalistischen Idee geborenen und wiedervereinigten Deutschland, wohl schon im Denken gar nicht vorkommen, und so darf es auch keine Jugoslawen geben. Um sich in die Lage zu versetzen, Kusturica begrifflich irgendwie zu erfassen, muss man aus ihm einen „serbischen Nationalisten“ machen.
Kusturica baut sich sein Jugoslawien inzwischen wieder auf: im serbischen Bezirk Mokra Gora ist in Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden der Museumsort „Küstendorf“ entstanden, der auch als Kulisse für Kusturicas Film „Das Leben ist ein Wunder“ diente. Dort lebt er jetzt zeitweise. Und in der Nähe von Višegrad, der Stadt an der Drina, die insbesondere durch den Roman „Die Brücke über die Drina“ des jugoslawischen Schriftstellers und Nobelpreisträgers Ivo Andrić bekannt geworden ist, entsteht unter Kusturicas Regie die Kunststadt Andrićgrad. Namensgeber ist natürlich der jugoslawische Schriftsteller Andrić, die Stadt soll zukünftig wieder als Kulisse für einen neuen Film dienen.
Im Jahr 2005 wurde Emir Kusturica in der orthodoxen Kirche Serbiens getauft.
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