Die Alt-Katholiken und der Jansenismus

Angelique Arnauld und Mitschwester

Den Alt-Katholiken wird zuweilen nachgesagt, dass sie der Lehre des Jansenismus anhingen, die im 17. Jahrhundert von der römischen Kirche zur HĂ€resie erklĂ€rt wurde. Ob diese Lehre hĂ€retisch ist, sei zunĂ€chst dahingestellt. Aber Jansenisten – zumindest im ursprĂŒnglichen Sinne – sind die Alt-Katholiken nicht. Wohl aber nimmt der Jansenismus in der alt-katholischen Geschichte einen bedeutenden Stellenwert ein. Und teilweise wird von Alt-Katholiken durchaus positiv Bezug auf Persönlichkeiten genommen, die eine spezielle NĂ€he zum Jansenismus aufwiesen.

Cornelius Jansen
Cornelius Jansen (1585 bis 1638) entstammt einer katholischen Familie aus den Niederlanden. Nach seinem Studium lehrt er Theologie und gerĂ€t im Laufen seines Lebens einige Male in heftige theologische Auseinandersetzungen mit Mitgliedern des Jesuitenordens. Im Jahr 1636, zwei Jahre vor seinem Tod, wird er zum Bischof der westflĂ€mischen Diözese Ypern geweiht. Die Veröffentlichung seines Hauptwerks ĂŒber den Kirchenvater Augustinus erlebt er nicht mehr. Und so werden seine Lehren erst post mortem zum Anlass leidenschaftlicher Kontroversen zwischen den AnhĂ€ngern Jansens und den Jesuiten. Papst Innozenz X. erlĂ€sst auf deren Betreiben im Jahr 1653 eine Bulle gegen Jansens Schrift. Dessen – zu dieser Zeit noch papsttreue – AnhĂ€nger tragen vor, dass die Bulle zwar „zu Recht ergangen“ sei, Jansen jedoch faktisch die inkriminierten LehrsĂ€tze gar nicht vorgebracht habe.

Das ab 1602 von der Äbtissin Angelique Arnauld reformierte Zisterzienserinnen-Kloster Port Royal in Frankreich wird zum Ort der sogenannten „Solitaires“, einer christlichen Gemeinschaft begĂŒterter Menschen, die allesamt AnhĂ€nger Jansens sind. Die Gemeinschaft fĂŒhrt ein streng asketisches Leben, das von schlichter Handarbeit im Feld und im Garten, von geistlichen AktivitĂ€ten und intellektuellen TĂ€tigkeiten geprĂ€gt ist. Unter anderen gehört auch der Naturwissenschaftler und Philosoph Blaise Pascal zu dieser Gruppe. Port Royal wird bis zu seiner Zerstörung im Jahr 1710 zum Zentrum einer jansenistischen Bewegung.
Die treibende Kraft der Zerstörung des Klosters ist Frankreichs König Ludwig XIV (1638 bis 1715). Er drĂ€ngt den Papst aus politischen GrĂŒnden dazu, die Bulle Unigenitus, eine Verurteilung der jansenistischen Positionen in 101 SĂ€tzen, zu verfassen. Nachdem Port Royals dem Erdboden gleichgemacht worden ist, finden viele AnhĂ€nger des Jansenismus Zuflucht im Erzbistum Utrecht. Vor diesem Hintergrund kommt es im Jahr 1700 zum Bruch zwischen Rom und der Utrechter Kirche, deren Protagonisten sich weigern, die Lehre Jansens öffentlich zu verurteilen.

Der Jansenismus

Jansen vertritt eine Ă€ußerst zugespitzte augustinsiche Lehre , die nicht nur in der Vorstellung der Rechtfertigung allein durch die Gnade gipfelt, sondern auch von einer unerbittlichen Gnadenwahl ausgeht: der Mensch ist prinzipiell per se determiniert, wer erlöst wird und wer nicht, steht vom Anfang aller Zeiten an fest.
FĂŒr Jansen hat der Mensch mit dem SĂŒndenfall seine Freiheit verloren. Der gefallene Mensch ist seiner Auffassung nach fĂŒr immer bestraft und kann nicht mehr aus freiem Willen das Gute tun. (Baur, Franz Joseph 2000: Erlöste Endlichkeit. St. Ottilien) Wenn ihm die völlige Unterwerfung gelingt, kann er dies als mögliches Zeichen der Gnade deuten. Mehr auch nicht.

Die PrÀdestinationslehre

Franz Joseph Baur von der Katholisch-Theologischen FakultĂ€t in MĂŒnchen leistet in seiner Schrift „Erlöste Endlichkeit“ eine der umfassendsten deutschsprachigen Darstellungen des Jansenismus in seinen historischen und theologisch-philosophischen Implikationen. Jan Rohls von der Evangelisch-Theologischen FakultĂ€t der Ludwig-Maximilians-UniversitĂ€t MĂŒnchen beschĂ€ftigt sich mit dem Thema eher vor dem Hintergrund der Geschichte der Reformation. Er schreibt beispielsweise:

„Jansen (greift) nun die pelagianisierende Gnadenlehre der Jesuiten an. FĂŒr ihn ist der Mensch durch die SĂŒnde Adams verderbt und unfĂ€hig, in irgendeiner Weise zur Gnade etwas beizutragen. Nur die göttliche Gnade bewirkt daher, dass der Mensch gut handelt, und die gnadenhafte Bestimmung unseres Willens hĂ€ngt ausschließlich ab von der göttlichen Vorherbestimmung. Damit wird die augustinische PrĂ€destationslehre auf dem Boden des nachtridentinischen Katholizismus erneuert. Gott lĂ€sst aufgrund seiner unbedingten Vorherbestimmung einigen ErwĂ€hlten seine unwiderstehliche Gnade zukommen, wĂ€hrend er anderen die wirksame Gnade versagt und sie so vom Heil ausschließt.“ (Rohls, Jan [1997]: Protestantische Theologie der Neuzeit (1997) Band 1. Die Voraussetzungen und das 19. Jahrhundert. Mohr Siebeck, S. 69)

Gnadenwahl

Der ehemalige christkatholische Bischof der Schweiz und Autor eines Standardwerkes ĂŒber den Alt-Katholizismus, Urs KĂŒry, formuliert.

„WĂ€hrend die jesuitischen Theologen der Willensfreiheit und der Bereitschaft des Menschen zum Empfang der Gnade allergrĂ¶ĂŸte Bedeutung zumessen, legen ihre an Augustinus geschulten Gegner das entscheidende Gewicht auf die frei wĂ€hlende Gnade Gottes (PrĂ€destination), die allein den menschlichen Willen zum Heil und zum Tun des Guten bereiten vermag. In dem erst nach seinem Tod erschienen, großangelegten Werk „Augustinus“ (1640) verschĂ€rfte Jansenius die augustinische Lehre dahin, dass er den Akzent auf die absolute, freie Gnadenwahl Gottes (PrĂ€destination) und die Unwiderstehlichkeit ihrer Wirkung legt. Die Gnade Gottes kommt in den ErwĂ€hlten immer zu ihrem Ziel. Zu ihrer Gewinnung kann der Mensch mit seinem Willen nichts beitragen, er kann sich ihr nur in völliger Glaubenshingabe unterwerfen. Diese Unterwerfung hat zu geschehen durch ein ganz dem Erlöser hingegebenes Frömmigkeitsleben und durch strengste moralische Zucht. So verbindet sich im Jansenismus eine stark individualistische Gnadenmystik und Christusfrömmigkeit mit einem ausgeprĂ€gten moralischen Rigorismus.“

Jansen unterscheide sich von der PrĂ€destinationslehre Calvins in erster Linie durch sein Festhalten an der ĂŒberlieferten katholischen Amts- und Sakramentsordnung, bilanziert KĂŒry. (KĂŒry, Urs [1978]: Die altkatholische Kirche. Ihre Geschichte, ihre Lehre, ihr Anliegen. Evangelisches Verlagsinstitut Stuttgart. S.32)

Reform der Gottesdienstpraxen

Jansen hat sich darĂŒber hinaus auch gegen die formalisierte und bevölkerungsferne Gottesdienst- und VerkĂŒndigungspraxis in der damaligen katholischen Kirche gewandt, fĂŒr mehr allgemeine Teilhabe an der Liturgie und fĂŒr Gottesdienste in den Landessprachen plĂ€diert. Das lĂ€sst ihn in den Augen mancher Alt-Katholiken gewiss sympathisch erscheinen, zumal sich die Auseinandersetzungen nach der Zerstörung Port Royals weg vom Streit um die Gnadenlehre und hin zu Auseinandersetzungen um pĂ€pstliche Macht und Epikopalismus bewegten. Das Ă€ndert aber nichts an Jansens PrĂ€destinationslehre.

Merkmale des Jansenismus

Das erstes Charakteristikum des Jansenismus ist also die PrĂ€destinationslehre. Jansen spitzt die augustinische Vorstellung der Rechtfertigung allein durch die Gnade Gottes zu. Der Mensch ist dieser Auffassung zufolge nicht fĂ€hig, durch eigene Werke etwas zu seiner Gnade beizutragen. Er ist nicht einmal fĂ€hig, durch eigene Kraft etwas Gutes zu tun. Vielmehr ist er durch die ErbsĂŒnde aller urspĂŒnglich von Gott verliehenen Freiheit zum Guten verlustig gegangen. Wem Gott seine Gnade zuteil werden lĂ€sst, obliegt allein seinem unergrĂŒndlichen Ratschluss.
Zweites Charakteristikum des Jansenismus ist eine Lebenshaltung der strengen Abkehr vom weltlichen, mondĂ€nen und damit nach Auffassung der Jansenisten zwangslĂ€ufig schlechten Leben, denn die Menschen sind nach dem SĂŒndenfall zunĂ€chst einmal schlecht. Geboten ist hingegen ein Leben nach einem strengen Moralkodex und eine strenge Orientierung an den kirchlichen Sakramenten, mit der Buße und der Kommunion im Zentrum. Dahinter steht die Forderung nach der absoluten Unterwerfung des Menschen unter Gott. Wem jene gelingt, der oder die kann das möglicherweise als Zeichen der Gnade begreifen.
Nach der Zerstörung des jansenistischen Zentrums Port Royal rĂŒckt das dritte Charakteristikum in den Fordergrund: Die Ablehnung des zentralistischen Machanspruches des Papstes und die BefĂŒrwortung einer stĂ€rker episkopal – bischöflich – ausgerichteten Kirche mit entsprechend weitreichenden Rechten der Diözesen gegenĂŒber Rom. Daraus entwickelt sich bekanntlich die „Römisch-katholische Kirche der alt-bischöflichen Klerisei von Utrecht“ und schließlich der Altkatholizismus.

Jansen und seine AnhĂ€nger vertreten eine stark fatalistische Lehre. Von römisch-katholischer Seite wird den Positionen Jansens seinerzeit entgegen gehalten, er stehe mit seiner Lehre quasi im Widerspruch zum Evangelium, dessen Botschaft laute, dass Christus fĂŒr alle Menschen gestorben sei. Da ist was dran.
Die deutschen, österreichischen und schweizerischen Alt-Katholiken, die ihre bischöflichen Weihen vom Erzbischof von Utrecht erhalten, stehen nicht in direkter Tradition des Jansenismus. Im Jahr 1889 vereinigen sie sich mit der „Römisch-katholische Kirche der alt-bischöflichen Klerisei von Utrecht“ zur Utrechter Union. Die Utrechter Kirche nennt sich fortan Oud-Katholieke Kerk van Nederland (Alt-Katholische Kirche der Niederlande) Unter dem Einfluss der deutschsprachigen Alt-Katholiken liberalisiert sie sich deutlich.
Heute sind eher die Alt-Katholiken fĂŒr eine „pelagisierende“ Kirchenpraxis bekannt, fĂŒr eine Haltung also, die der Freiheit und Selbstverantwortung des einzelnen Individuums den grĂ¶ĂŸtmöglichen Raum zubilligt. Das man damit oft auch ĂŒber das Ziel hinausschießt, ist hier wiederholt kritisiert worden. So ein bisschen mehr Jansenismus wĂŒrde der alt-katholischen Kirche heute vielleicht ganz gut tun.

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