Kann ein Christ Marxist sein?

MarxderKarl

Mein langer Abschied vom Marxismus

Im Wendejahr 1989 sprach der damalige Arbeits- und Sozialminister der christliberalen Regierungskoalition in Deutschland, Norbert BlĂŒm, vor polnischen Werftarbeitern in Danzig. Dort hatte der sichtbare Zusammenbruch des Sowjetsystems Anfang der 1980er Jahre begonnen und inzwischen seinen Höhepunkt erreicht. Seiner Freude darĂŒber gab der glĂ€ubige Katholik BlĂŒm dabei mit markigen Worten Ausdruck: “Marx ist tot, Jesus lebt”, verkĂŒndete er den jubelnden Arbeitern. Mir persönlich war seinerzeit ganz und gar nicht zum Jubeln zumute. Im Gegenteil: Ich habe mich damals ĂŒber BlĂŒms Spruch geĂ€rgert. Denn ich verstand mich als Marxist. Und auch wenn ich mit den östlichen Staatssozialismen haderte und lĂ€ngst keiner Organisation mehr angehörte, so galten sie mir doch immer noch als erhaltenswerte Versuche, eine sozial gerechtere Gesellschaft zu schaffen. Den Untergang des Staatssozialismus empfand ich daher fast wie eine persönliche Niederlage
Als vor etwa 15 Jahren Christus an meine TĂŒr klopfte, hĂ€tte ich meinen Marxismus gern gerettet. Ich wollte am liebsten beides sein, Christ und Marxist – und fand mich bestĂ€tigt durch lateinamerikanische Befreiungstheologen wie den ehemaligen nicaraguanischen Kulturminister Ernesto Cardenal. Das Evangelium sei die gute Nachricht von der Befreiung der Armen, sagt Cardenal – Ă€hnlich ĂŒbrigens, wie der derzeitige Papst. Weil auch Marx auf eine gerechte, ja perfekte, Gesellschaft ziele, deshalb könne er, Cardenal, sich als Christ und Marxist zugleich verstehen.

Transzendenz und Kommunismus. Nicht vereinbar?

So wie bei Cardenal und anderen Befreiungstheologen hatte es schon Jahrzehnte zuvor Versuche gegeben, den Marxismus – beziehungsweise seit Anbruch des 20. Jahrhunderts den Marxismus-Leninismus – mit dem Glauben an einen Gott zu versöhnen. Ein solches Bespiel finden wir etwa bei dem russischen Schriftsteller Maxim Gorki, der ein glĂŒhender AnhĂ€nger Lenis und der Bolschewiken war. Von marxistischer und kommunistischer Seite hat man solche Arrangements zeitweilig aus taktischen GrĂŒnden toleriert. Die Einheit des revolutionĂ€ren Kampfes sei wichtiger als die Einheit der Meinung der Proletarier, beschied etwa Lenin seinen Genossen und BĂŒndnispartnern (KĂŒng 2004. s. 275). Letztendlich jedoch haben Marxisten solche Avancen weltanschaulich immer energisch zurĂŒckgewiesen. Ihre materialistischen Überzeugungen hielten sie mit der Annahme einer transzendenten Wirklichkeit unter dem Strich als nicht vereinbar. Lenin etwa las seinem Verehrer Gorki krĂ€ftig die Leviten und etikettierte den “‘Volks’-begriff vom lieben Gott und vom Göttlichen” als puren Stumpfsinn. Wie er, Gorki, den Volksglauben an Gott als demokratisch bezeichnen könne, sei ihm absolut unverstĂ€ndlich, schrieb Lenin dem Schriftsteller ins Stammbuch.

“Eins auf die Pappn“

Die herablassende Geste der Linken gegenĂŒber Christen hat sich bis heute gehalten. Die Ex-Sponti-Postille “Die Taz” hat fĂŒr ihre glĂ€ubigen Fans in der Regel nur Hohn und Spott ĂŒbrig. Alt-Katholiken und Protestanten unter den Tazlesern, die sich etwa ĂŒber Leitartikel freuen, in denen sĂŒffisant die Abschaffung des Papstamtes gefordert wird, sollten sich darĂŒber klar sein, dass ein Großteil der Taz-Schreiber am liebsten gleich die ganze Kirche (und nicht nur die römische) abgeschafft sĂ€he und mit dieser Auffassung selten hinterm Berg hĂ€lt.
Sich als links verstehende Christen mögen sich noch so viel MĂŒhe geben und beteuern, sie stĂ€nden auf der Seite der Benachteiligten, an den Rand gedrĂ€ngten und Ausgebeuteten, sie können noch so oft darauf hinweisen, dass es einen herrschaftskritischen und revolutionĂ€ren Unterstrom in der Geschichte des Christentums gĂ€be, es nĂŒtzt nichts: am Ende gibts die Watschen – beziehungsweise eins “auf die Pappn”. So hat Hermann Gremliza, Herausgeber von “konkret“, (trotz allem eines der wenigen einigermaßen klugen linken BlĂ€tter in dieser Republik), schon vor Jahren seine Perspektive – die gleichsam Mehrheitsmeinung unter Marxisten ist – klargestellt:

“Jedes StĂŒckchen Emanzipation der Menschheit, noch das bescheidenste, ist nicht mit, sondern gegen Religion und Kirche erkĂ€mpft worden. Und schlichtester Anstand mĂŒĂŸte es verbieten, einer religiösen Organisation, deren Geschichte eine einzige breite Blutspur zeichnet, den Gebrauch des Wortes »Menschenrecht« anders zu quittieren als mit Hohnlachen oder einem Schlag auf die Pappn.”

NatĂŒrlich irrt Gremliza hier gewaltig: das Menschenrecht, auch wie Gremliza es versteht, ist ohne das Christentum gar nicht denkbar – aber das soll nicht Gegenstand der Erörterung sein.
Mich ob meines linken christlichen GemĂŒts haben solche AusfĂ€lle lange bekĂŒmmert. Aber der Umstand, dass Marxisten und Kommunisten uns Christen im Grunde fĂŒr bescheuert halten, muss ja noch nicht per se gegen die Vereinbarkeit von Marxismus und Gottglauben sprechen.

Risse im marxistischen GebÀlk

Und doch bekam mein Marxismus mit der Zeit mehr und mehr Risse. Ich fragte mich, ob der marxistische Atheismus wirklich nur ein politisches PhĂ€nomen sei, geschuldet dem Umstand, dass Kirchenvertreter in Vergangenheit und Gegenwart oftmals eher den MĂ€chtigen, Herrschern und Ausbeutern und nicht ihren Opfern nahe standen (und stehen). Oder ob dieser Atheismus nicht vielmehr doch konstitutiv fĂŒr die marxistische Weltanschauung sei? Mehr und mehr gelangte ich zu der Auffassung: WĂ€re das der Fall, dann hĂ€tte es sich mit meinem Marxismus im Prinzip erledigt.
Kann also ein Christ Marxist sein? Der Theologie und AnhĂ€nger der bekennenden Kirche im Nationalsozialismus, Hellmut Gollwitzer, hatte sich die gleiche Frage bereits Anfang der 1950er Jahre gestellt, kurz nachdem er aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurĂŒckgekehrt war. In seiner Schrift “Kann ein Christ Kommunist sein?”, gab er darauf eine eindeutige Antwort:
Nein.
Denn der Kommunismus sei nicht nur ein politisches Programm, schrieb Gollwitzer, vielmehr sei

“das Programm (…) eingeklammert von einer umfassenden Weltanschauung. Diese Weltanschauung macht Aussagen ĂŒber das letzte Wesen der Welt, ĂŒber das Wesen des Menschen, ĂŒber den gesamten Gang der Geschichte und erhebt den Anspruch, dies alles – Welt, Menschenleben und Geschichte – ohne Gott erklĂ€ren zu können. Sie ist also prinzipiell atheistisch und hĂ€lt jede Religion, auch den christlichen Glauben, fĂŒr eine SelbstbetĂ€ubung der Menschen (Opium fĂŒr Volk, sagt Marx) und hinderlich fĂŒr den Fortschritt.”

Der Christ hingegen glaubt das Gegenteil, schreibt Gollwitzer, und damit wĂ€re die Frage (zunĂ€chst) beantwortet: “Ein Christ kann nicht Marxist sein, weil der Marxismus eine atheistische Weltanschauung ist.” (Helmut Gollwitzer: Kann ein Christ Kommunist sein? Verlag Kirche und Mann. GĂŒtersloh. S. 2)
SpÀter hat Gollwitzer diese Position teilweise revidiert. Ich denke jedoch, er hat in diesem Text ein wesentliches PhÀnomen benannt: nÀmlich den Absolutheitsanspruch des Marxismus. Der Marxismus ist schon bei Marx angelegt als umfassende und universelle Weltanschauung, die auf alle bedeutende Fragen der Menschheit ein Antwort geben könne: Und zwar

  • auf die Beziehung zwischen Ökonomie, Politik und Gesellschaft,
  • auf die geistesgeschichtliche Entwicklung der Menschheit
  • auf die TriebkrĂ€fte der geschichtlichen Entwicklung im Allgemeinen und Besondern,
  • auf die Beziehung zwischen stofflicher und geistiger Welt,
  • auf die Konstitutionsmerkmale und inneren Gesetze des Materiellen und Stofflichen,
  • auf die Entstehung von Ideologien, Weltanschauungen und Religionen
  • auf den Glauben an einen Gott und nicht zuletzt
  • auf das Wesen des Menschen.

Eine Theorie fĂŒr alles, eine totale Theorie, gewissermaßen – und zwar ausgestattet mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit und universeller GĂŒltigkeit. Lenin schrieb: “Die Lehre von Marx ist allmĂ€chtig, weil sie wahr ist. Sie ist in sich geschlossen und harmonisch, sie gibt den Menschen eine einheitliche Weltanschauung (…).”
Lenin hob die bolschewistische Partei aus der Taufe, die sich im Besitz dieser “allmĂ€chtigen Wahrheit” des Marxismus wĂ€hnte und als Avantgarde und Kaderpartei, ausgestattet mit exklusivem Wissen, die neue Gesellschaft schaffen wollte. Beseelt von der Überzeugung, im Besitz einer allmĂ€chtigen Wahrheit zu sein, konnte es keine Kompromisse, keine Diskussionen mehr geben. SpĂ€testens zu dem Zeitpunkt, als der Marxismus staatsförmig und zum Instrument einer Kaderpartei wurde, musste es mit demokratischer Kultur vorbei sein. Wir wissen, wohin das gefĂŒhrt hat.

Stalin, Mao und Pol Pot: Ausgeburten einer totalitÀren Ideologie

In der Geschichte der linken Bewegungen des 20. Jahrhunderts hat es viele Versuche gegeben, den Leninismus wieder vom Marxismus trennen und ihn so von der Verantwortung fĂŒr die autoritĂ€ren bis terroristischen Formen freizusprechen, die er unter Stalin, Mao, Pol Pot, Kim Ill Sung und anderen angenommen hat. Aber muss nicht eine Theorie, die einen Anspruch auf TotalitĂ€t erhebt, zwangslĂ€ufig im Totalitarismus enden? Marx wollte gar keinen “Marxismus”, hieß es. Und doch hat er ihn durch seinen Universalismus, mit dem er meinte, alles erklĂ€ren zu können und zu dem eben auch der Atheismus gehört, selbst begrĂŒndet. Ich stimme deshalb Gollwitzers frĂŒhen Ergebnissen zu: ein Christ kann kein Marxist sein.

Das Kind nicht mit dem Bade ausschĂŒtten

Und doch. Muss man mit dem Marxismus gleich den ganzen Marx ĂŒber den Haufen werfen? FĂŒr mich gehört Karl Marx nach wie vor zu den genialsten Denkern der Neuzeit. Keiner hat die StrukturzusammenhĂ€nge von Ökonomie und Politik des Kapitalismus so prĂ€zise beschrieben wie er. Marx hat als erster die Bedeutung der materiellen Lebensbedingungen fĂŒr die Entwicklung von Mensch und Gesellschaft umrissen. Man muss Marx nicht mit dem Marxismus ĂŒber den Haufen werfen, sondern kann seine Schriften als Steinbruch politisch-ökonomischer Erkenntnisse nutzen, wenn man gleichzeitig anerkennt, dass seine Analysen eine begrenzte Reichweite haben, die persönlich, historisch und philosophisch bedingt ist. Ich glaube, Marx hat uns noch etwas zu sagen – aber er kann uns nicht die ganze Welt und schon gar nicht Gott erklĂ€ren. Der Marxismus als politische Ideologie ist ja ohnehin am Ende – und das ist auch gut so.

FĂŒr die soziale Utopie

Aber wir dĂŒrfen mit dem Marxismus natĂŒrlich nicht die soziale Utopie begraben. Wir brauchen den Entwurf von einer sozial gerechteren Welt, in der nicht ein Teil der Menschheit auf Kosten des anderen Teils lebt. Dass es noch Elend, Hunger und bittere Armut in dieser reichen Welt gibt, ist eine Katastrophe, mit der wir uns niemals abfinden dĂŒrfen. Wir brauchen eine Wirtschaftsordnung, die sich der gerechten Verteilung der Ressourcen und der Bewahrung der Schöpfung verpflichtet weiß. Im Evangelium hat Christus sich den Erniedrigten und Ausgestoßenen zugewandt. NatĂŒrlich mĂŒssen sich Christen auf die Seite der Armen und Ausgebeuteten stellen. Wir brauchen die soziale Utopie von einer besseren Welt. Helmut Gollwitzer hat sein 1951 getroffenes Urteil, dass ein Christ kein Marxist sein kann, vor dem Hintergrund von WettrĂŒsten, vom Westen angefachter BĂŒrgerkriege in der sogenannten dritten Welt, der Arroganz der MĂ€chtigen und einer auf Ausbeutung von Mensch und Natur beruhenden Wirtschaftsordnung spĂ€ter teilweise wieder revidiert. Darin folge ich ihm nicht.
Gollwitzer vertrat die Position: “Sozialisten können Christen, Christen mĂŒssen Sozialisten sein“. Ob der Sozialismus heute noch als Konzept fĂŒr eine gerechtere Gesellschaft herhalten kann, weiß ich nicht. Wenn ich mir die heutigen Sozialisten so anschaue, beschleichen mich Zweifel. Aber dass wir uns als Christen auf die Seite die Armen stellen mĂŒssen und dass wir den Entwurf einer gerechteren Welt brauchen, darin gebe ich ihm uneingeschrĂ€nkt recht. Denn das ist, wie ich meine, genuin christlich!

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