Luxemburg: Replik der Replik

In einer Nachbemerkung hat der MorgenlÀnder noch einmal Stellung zu meiner gestrigen Replik auf seinen Luxemburg/Liebknecht Beitrag genommen. Sein Fazit:

„Und kann man im Ernst meinen, eine spartakistische Diktatur, die sich nur im BĂŒndnis mit der Sowjetunion hĂ€tte behaupten können – ein BĂŒndnis, das der Lenin-Vertraute Karl Radek bereits angekĂŒndigt hatte -, wĂ€re fĂŒr Deutschland segensreicher gewesen als das parlamentarische System, das sich eben nur durch UnterdrĂŒckung der Extremisten von links und rechts mĂŒhsam behaupten konnte?
“Was wĂ€re gewesen, wenn?” ist natĂŒrlich eine unbeantwortbare Frage. Aber an eines möchte ich doch erinnern:

Die sowjetische Diktatur hat in Friedenszeiten weit mehr Menschen das Leben gekostet als der Nationalsozialismus. Und am verheerenden Zweiten Weltkrieg trug die Sowjetunion kaum weniger Verantwortung als das Deutsche Reich (Stichwort: Hitler-Stalin-Pakt).“

Auch ich bin mittlerweile weit von jenem linken Revolutionsromantizismus entfernt, demzufolge schon alles irgendwie gut geworden wĂ€re, hĂ€tte es in Deutschland nach dem I. Weltkrieg nur einen wie auch immer gearteten Sozialismus gegeben. Und in der Tat: „Was wĂ€re wenn gewesen, ist natĂŒrlich eine unbeantwortbare Frage.“

Eher schon lĂ€sst sich rekonstruieren, was gewesen ist. Und dabei kann man zur Kenntnis nehmen, das im Wesentlichen vier Entwicklungslinien in die Katastrophe des deutschen Nationalsozialismus und schließlich in den nĂ€chsten Weltkrieg mit seinen Zig-Millionen Toten gefĂŒhrt haben:

  • Das war zum einen die weitere Herausbildung von eng mit dem Staat verflochtenen WirtschaftsmĂ€chten auf nationaler Ebene und auf der Basis der privater VerfĂŒgungsgewalt ĂŒber die Produktionsmittel. Aufgrund der schlechten Erfahrungen mit diesen nationalstaatlich orientierten WirtschaftsmĂ€chten und der daraus resultierenden KonkurrenzverhĂ€ltnisse zwischen den Nationalstaaten hat man im Übrigen nach dem Krieg die Montanunion gegrĂŒndet.
  • Das war zum Zweiten ein, infolge der Kriegsniederlage im ersten Weltkrieg und der dann in den 20er Jahren im Zuge der einsetzenden Wirtschaftkrise, schwer traumatisiertes und ohnehin nach rechts tendierendes KleinbĂŒrgertum. AutoritĂ€tshörigkeit, Sehnsucht nach der vermeintlich guten alten Kaiserzeit und antisemitische Ressentiments waren hier weit verbreitet und ließen sich  in der Krise leicht mobilisieren.
  • Und das war ein durch die Wirtschaftkrise immer weiter verarmendes Proletariat, das zunĂ€chst wohl eher nach links, MorgenlĂ€nder wĂŒrde wohl sagen, zum Links-Totalitarismus, tendierte, sich mehr und mehr jedoch auch von den Nationalsozialisten angesprochen fĂŒhlte. NatĂŒrlich fĂŒhrte auch diese Neigung zur extremen Rchten und Linken zur Destabilisierung der parlamentarischen Demokratie.
  • Hinzu kamen verschiedene gesellschaftliche Diskurse, wie etwa der Antisemitismus und die Neigung zur Obrikeitshörigkeit, die Erbschaft des preußischen Militarismus und darĂŒberhinaus von rassistischen Denkmustern teiweise tief infiltrierte staatliche Systeme, so beispielsweise das Gesundheitssystem und die SozialfĂŒrsorge. All das konnte leicht in die nationalsozialistische Ideologie integriert werden und den Nazis auf vielen Ebenen Zustimmung einbringen.

Das war,  grob gesagt, die Melange, aus der in Deutschland der Nationalsozialismus hervorging, der sich ab 1939 im Bunde mit den wirtschaftlich MĂ€chtigen daran machte, die Welt zugunsten der deutschen MachtansprĂŒche neu zu ordnen und gleichzeitig einen verheerenden und auf der Welt bisher einmaligen Vernichtungsfeldzug rassistischer Provenienz vom Zaun brach. Dabei war es nicht zuletzt auch der Einfluss der ultranationalistischen Ideologie der einstigen Freikorps-Akteure und ihrer nicht geringen AnhĂ€ngerschaft, die Hitler im entscheidenden Moment den RĂŒcken stĂ€rkten.

Bei unvoreingenommen Hinsehen lÀsst sich mithin durchaus ein Zusammenhang zwischen dem Mord an Liebknecht und Luxemburg, der nationalsozialistischen Machtergreifung und dem II. Weltkrieg feststellen. Auf jeden Fall ist es ziemlich abenteuerlich, der Sowjetunion quasi eine vergleichbare Mitschuld am II. Weltkrieg zu attestieren.

Alles in allem hĂ€tten wir hier wohl Material genug fĂŒr eine kapitale Neuauflage des Historikerstreits.  Wie auch immer, wie alles hĂ€tte kommen können wenn, weiß ich nicht. Und auf jeden Fall möchte ich auch nicht den Eindruck erwecken, ich wĂŒrde hier einem gescheitertem Sowjetsystem das Wort reden, das in der Tat seinerseits viel Leid in die Welt gebracht hat.  Schließlich denke ich, dass wir zu kurz greifen, wenn wir versuchen, die Welt immer noch nach dem Links-Rechts-Schema zu erklĂ€ren. Beschneiden wir uns da nicht selbst in unseren Erkentnismöglichkeiten?

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