Theologie ohne Glauben

Oder: wie die moderne Theologie den christlichen Glauben wegrationalisiert.

Vor zwei Jahren veröffentlichte das antiklerikale Kampfblatt “Die Tageszeitung” (Taz) anlĂ€sslich der GrĂŒndung einer alt-katholischen Gemeinde in Bremen einen recht wohlwollenden Artikel ĂŒber die Alt-Katholiken. Soweit, so gut. Aber wenn die “Taz” anfĂ€ngt, Katholiken gut zu finden, werde ich skeptisch.

Und das zu Recht. Irgendein norddeutscher Alt-Katholik muss dem Taz-Journalisten in die Feder diktiert haben, dass diese Kirche modern sei und man beispielsweise die Jungfrauengeburt nicht mehr biologisch verstehe. Modern? Das gefiel dem Reporter natĂŒrlich gut. Er schrieb:

“Sie (die Alt-katholiken) finden nicht, dass die Frau sich dem Manne unterzuordnen habe. Sie sind gegen die kultische Verehrung Mariens und sie verstehen die Sache mit der Jungfrauengeburt auch nicht als biologische Aussage. Sie erlauben ihren Geistlichen, PartnerInnen, Sex und Kinder zu haben und ihre Bischöfe werden nicht von Rom ernannt, sondern von der Gemeinde gewĂ€hlt. Sie feiern Abendmahl zusammen mit Protestanten, sie trauen homosexuelle Paare und sie wĂ€hlen bekennende Schwule zu Diakonen.“

Ich war irritiert. Und nicht nur darĂŒber, dass bei den Alt-Katholiken angeblich homosexuelle Paare “getraut” werden. Die Jungfrauengeburt keine “biologische Aussage”. Das mĂŒsste dann ja heißen, die JungfrĂ€ulichkeit Mariens sei rein metaphorisch zu verstehen und Maria im “wirklichen Leben” eben doch eine ganz normale Frau?

Bloß keinen Ärger mit der Presse

Die Alt-Katholiken haben keinen aktuellen Katechismus. Daher ist es schwer, ĂŒberhaupt irgendwelche verbindlichen Aussagen darĂŒber zu finden, was geglaubt wird und was nicht. Aber immerhin gibt es die “Koinonia auf altkirchlicher Basis“: das ist ein Positionspapier, in dem die gemeinsamen GlaubensĂŒberzeugungen des orthodox-altkatholischen Dialoges aus den Jahren 1975 bis 1987 publiziert worden sind.
In Bezug auf die Gottesmutter heißt es dort:

„Da die Kirche Maria als Gottesmutter anerkennt, deren Niederkunft der heilige Ignatius von Antiochien ‚ein laut rufendes Geheimnis’ nennt rĂŒhmt sie auch die bleibende Jungfrauschaft. Die Gottesmutter ist immer Jungfrau, da sie unversehrt und auf unsagbare, nicht zu klĂ€rende Weise Christus geboren hat“.

Das passt doch auf keinen Fall zu dem, was der Taz-Reporter ĂŒber den Glauben der Alt-Katholiken geschrieben hatte, dachte ich mir. Da musste doch eine Richtigstellung her. Ich schrieb das bischöfliche Ordinariat in Bonn an. Von dort bekam ich die Auskunft, dass in der Presse immer wieder Sachverhalte stark vereinfacht und auch falsch dargestellt wĂŒrden. Es erfordere aber

“ein sehr genaues Nachdenken darĂŒber ob eine Gegendarstellung im presserechtlichen Sinne angezeigt ist. Es könnte auch leicht der Eindruck entstehen, der Umgang mit der alt-katholischen Kirche ist schwierig. ‘Bei denen muss man ganz genau aufpassen, sonst gibt es schon wieder eine Gegendarstellung’, oder so Ă€hnlich. Damit fördert man nicht die Motivation, ĂŒber kirchliche Themen zu berichten.”

Ergo, lieber nehmen wir eine falsche Berichterstattung hin, als es uns mit der Presse zu verderben. Nun ja – ich gebe zu, es ist mĂŒhsam, stĂ€ndig richtigzustellen, was die kirchenunkundige Presse so verzapft. Und dann lĂ€sst man es halt. Richtig ist das nicht, geht es, wie in diesem Fall, doch um die Essenz unserer GlaubensĂŒberzeugungen. Oder glauben die alt-katholischen Theologen gar nicht mehr, was Jahrhunderte lang katholische GrundĂŒberzeugung war?
In Sachen Jungfrauengeburt antwortete man mir seitens des bischöflichen Ordinariats:

“Das Wesen eines solchen Glaubens-Mysteriums wie der Reder (sic) von der ‘Jungfrauengeburt’ ist nicht seine rationale UnerklĂ€rbarkeit. Im Übrigen haben wir heute ein anderes Welt- und WirklichkeitsverstĂ€ndnis sowie ein fortgeschrittenes Weltwissen, mit dem wir an solche Glaubensaussagen von Menschen vor vielen Jahrhunderten herangehen, die ihrerseits ein ganz anderes solches Welt- und WirklichkeitsverstĂ€ndnis und Weltwissen hatten. Ich plĂ€diere hier jedoch immer fĂŒr gegenseitigen Respekt.”

Wie bitte? Das Wesen eines Glaubensmysteriums ist nicht mehr seine rationale UnerklĂ€rbarkeit? Was denn sonst? Wir haben ein “fortgeschrittenes Weltwissen” mit dem wir die rationale UnerklĂ€rbarkeit der Mysterien ad legen können? Es gibt nichts UnerklĂ€rbares mehr? So etwas erwartet man eigentlich eher von Atheisten wie Richard Dawkins oder Christopher Hitchens, nicht aber von einem Mitarbeiter des bischöflichen Ordinariats.

Wer eine solche Theologie hat, braucht keine Atheisten mehr

Womit wir beim Kern des Problems angekommen wĂ€ren: FĂŒr die moderne Theologie insbesondere protestantischer PrĂ€gung (wovon der Alt-Katholizismus scheinbar immer mehr zu einer bloßen Spielart wird) gibt es keine Mysterien mehr. Transzendenz wird ersetzt durch einen ethischen Imperativ; was einmal als GlaubensĂŒberzeugung die Lebenswelt der Menschen durchdrang, wird heruntergebrochen auf reine Metaphorik. Die kritische Exegese in der Theologie hat den Glauben wegkritisiert. Warum also sollten die Leute noch in Kirche kommen, wenn sie da ohnehin nichts weiter zu erwarten haben als ein paar sinnige SprĂŒche zum HerzerwĂ€rmen. Da kann man doch besser gleich zum Yoga gehen.
FĂŒr die sogenannten kritisch-historischen Theologen wie Rudolf Bultmann sind die Evangelien geschichtsförmige Einkleidungen frĂŒhchristlicher Glaubensideen. Sagen und Mythen statt Mysterien. Das ist ĂŒbrigens etwas anderes als geistliche Bilder, die in ihrer Symbolik immer noch eine metaphysische Wahrheit reprĂ€sentieren. Einen Wahrheitsgehalt indes spricht die sogenannte kritische Theologie den Evangelien direkt oder indirekt rundum ab. Wer eine solche Theologie hat, braucht eigentlich keine Atheisten mehr.
In der katholischen Theologie – und mithin auch in der orthodoxen – ist dagegen etwa die Jungfrauengeburt nicht erst seit den neuen Mariendogmen im 19. Jahrhundert als umfassend wahr begriffen worden. Und das heißt nicht nur als metaphorisch sondern auch als symbolisch und geschichtlich wahr. Papst Benedikt XVI ĂŒbrigens hat das in seinem Christusbuch noch einmal ausdrĂŒcklich unterstrichen.

Transzendierende Wirklichkleit

Wenn wir die Mysterien als symbolisch wahr bezeichnen, dann erĂŒbrigt sich im Grunde die Frage, ob das in einem biologischen oder nur metaphorischen Sinn gemeint ist. Denn es geht um eine Wahrheit, die das materielle und also auch biologische Geschehen transzendiert, das heißt, darĂŒber hinaus weist und es gleichzeitig in sich aufhebt. In dieser transzendierten Wirklichkeit gibt es ĂŒberhaupt kein entweder oder mehr. Wer den christlichen Glauben erfassen will, ja, wer glauben will, muss in der Lage sein, Paradoxien auszuhalten. Insofern könnte man auf die Frage, ob die Jungfrauengeburt auch biologisch zu verstehen sei, antworten: du kannst sie so verstehen – aber im Grunde interessiert mich diese Frage gar nicht. Denn: die christlichen Mysterien sind in einem höheren Sinn wahr und auf der materialistischen und sogenannten rationalen Ebene unbegreiflich.
Gerade aber damit kommt der hausbackene – sogenannte rationale – Verstand nicht klar. Genauso wenig wie er die Quanten- und – oder Chaostheorie begreift, so wenig begreift er beispielsweise, dass etwas Höheres sowohl drei als auch eins – dreieinig – sein kann. Er begreift nicht, dass es Dinge gibt, die sich der Messbarkeit und Rationalisierbarkeit entziehen. Weil sie sich der Rationalisierung entziehen, können sie nicht wahr sein.

Theologische Begleitmusik der Moderne

Horkheimer und Adorno schreiben in ihrer “Dialektik der AusklĂ€rung”:

“Das mythische Grauen der AufklĂ€rung gilt dem Mythos. Sie gewahrt ihn nicht bloß in unaufgehellten Begriffen und Worten, wie die semantische Sprachkritik wĂ€hnt, sondern in jeglicher menschlichen Äußerung, wofern sie keine Stelle im Zweckzusammenhang jener Selbsterhaltung hat. Der Satz des Spinoza ‘Conatus sese conservandi primum et unicum virtutis est fundamentum’ (Der Versuch des Sich-Selbst -Erhaltens ist die erst und einzige Grundlage der Tugend) enthĂ€lt die wahre Maxime aller westlichen Zivilisation, in der die religiösen und philosophischen Differenzen des BĂŒrgertums zur Ruhe kommen.”

FĂŒr Horkheimer und Adorno ist die Zurichtung aufs Rationale eine SelbstentĂ€ußerung der Individuen, “die sich an Leib und Seele nach der technischen Apparatur zu formen haben”. Die beiden Philosophen haben ihren Angriff auf die Rationalisierung aller LebensĂ€ußerungen zugegebenermaßen nicht als Verteidigung der christlichen Mysterien sondern als Kapitalismuskritik angelegt. Aber sie haben gezeigt, wie die Moderne die Sinneshaltung der Menschen sukzessive auf ein Quantifizierbares eingeengt hat und Metaphysik in diesem Zusammenhang als Bedrohung bekĂ€mpfen muss. Alles, was nicht rationalisierbar ist, Ă€ngstigt den Menschen der Moderne – und daher muss er es von sich abspalten. Als letztes Höheres gilt dem modernen Subjekt die reine Selbsterhaltung. Die kritisch-historische Theologie ist mit ihrer Entzauberung des Metaphysischen gewissermaßen die theologische Begleitmusik von Moderne und Postmoderne, die im Übrigen mit dem Neoliberalismus derzeit scheinbar immer mehr an ihre eigenen rationalen Grenzen gerĂ€t. Im postmodernen Neoliberalismus wird der Rationalismus langsam an sich selbst irre.
Die moderne Theologie – oder besser die Theologie der Moderne – versucht dabei in ihrem diskursiven Niemandsland der ihr zugewiesenen Funktion gemĂ€ĂŸ noch irgendwie Sinn zu generieren, wo sie selbst schon lange keinen Sinn mehr sieht.

Everything goes

Vorgemacht hat das jĂŒngst wieder der “Spiegel”. Unter dem Titel “Vom Himmel hoch”, fragte das Nachrichtenmagazin einmal genauer nach: “Ist Gott nur ein Irrtum! Und der Mensch nur Zufall?” Um Antworten wurden der britische Astrophysiker Ben Moore und der evangelische Pastor Johann Hinrich Clausen aus Hamburg gegeben. Moore ĂŒbernahm den atheistischen Part, der Pastor sollte Gott und das Christentum verteidigen. Die Eingangsfrage an beide GesprĂ€chsteilnehmer lautete: Was sehen Sie, wenn Sie nachts in den Himmel blicken. Der Astrophysiker sah die Zukunft, er sah die Menschheit zu den Sternen reisen um zu erkunden, was dort existiert, ob es dort wohlmöglich Leben gibt. Eine kĂŒhne und gleichzeitig optimistische Vision, den immerhin glaubt er an eine große Zukunft der Menschheit. Der Pastor sah nur Sterne. Deshalb stellte er sich seine Frage lieber gleich selbst: nĂ€mlich, was er dabei fĂŒhle. Er fĂŒhle Ehrfurcht, so die Antwort.
Immerhin. Ehrfurcht. Nicht schlecht. Ehrfurcht vor Gottes grandioser Schöpfung, dem Universum, sicherlich. Aber so wollte es Pastor Claussen nicht verstanden wissen. Vielmehr ging es ihm um die Frage nach dem Unendlichen. Auch nicht schlecht! Wenn Menschen daran denken, so der Kirchenmann, dann wĂŒrden sie an ihr eigenes Lebensende denken und fragen, ob es auch in ihnen etwas Unendliches gebe. Jedoch: eine Antwort hatte er leider nicht. Und auch auf die Frage des Spiegels, ob er an einen kosmischen Designer – sprich Schöpfer – glaube, “der das alles geschaffen haben soll? (…)” musste Pastor Claussen passen: “Ich weiß es nicht”. Was Wunder, dass der atheistische Astrophysiker schließlich insistierte, welche Aufgabe Gott dann nach Meinung von Pastor Claussen in der Welt habe, wenn er weder den Menschen schuf noch das Universum. “Welche Rolle hat er dann noch”, bohrte Ben Moore weiter. Pastor Johann Hinrich Claussen blieb in philosophisch Allgemeinem verfangen und wusste zur Verteidigung der Religion substanziell eigentlich nicht viel mehr vorzubringen, als dass sie etwas Wahres, gutes und Wunderschönes in ihm anstoße und seit Kant eigentlich jeder individuell bestimmen könne, was er damit und mit der Religion meine. Everything goes.
Ich glaube, dieses “everything goes” wirft uns auf uns selbst zurĂŒck, auf Spinoza und sein Paradigma von der reinen Selbsterhaltung, geschmĂŒckt mit etwas philosophisch-religiösem Zierat von den evangelischen Kanzeln, das aber von den eignen Apologeten nicht mehr so ganz ernst genommen wird. Wie aber sollen es dann die Menschen ernst nehmen.

Sich dem Zeitgeist entgegen stemmen

Diese Art von Theologie schafft sich selbst ab. Sie affirmiert das Weltbild der Moderne, in dem Quantifizierbarkeit und Messbarkeit zur letzten Wahrheit gerinnt. Sie sieht ihre Aufgabe scheinbar nur noch darin, das Ă€rmliche Los der Menschen als Subjekte einer Tugend des reinen sich Selbst-Erhaltens mit ein paar frommen SprĂŒchen ertrĂ€glicher zu machen.
So eine Theologie brauchen wir nicht. Vielmehr brauchen wir eine Theologie und eine Kirche, die sich diesem fatalistischen Zeitgeist entgegen stemmt.

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