Sein wollen (18)

sein wollen

Wahrlich, wir sind und wollen und wollten stets etwas sein,
immer einer ĂĽber dem anderen.
 
Darum aller Streit und alle MĂĽhe: Dass man etwas ist,
dass man groß, reich, hoch und mächtig ist.
Ein jeder will stets etwas sein und scheinen.
Aller Jammer kommt allein davon, dass wir etwas sein wollen.
 
Das Nichts-sein,
das hätte in allen Lebensweisen, an allen Orten, an allen Leuten, völligen, wahren, wesentlichen, ewigen Frieden und es wäre das Seligste, das Sicherste und das Edelste, das diese Welt hat. Aber niemand will daran, weder reich noch arm, weder jung noch alt.

Johannes Tauler

“Aller Jammer kommt allein davon, dass wir etwas sein wollen”, sagt Johannes Tauler.
Irgendwie folgen wir mit diesem “etwas sein wollen” immer noch bestimmten Instinkten, in der Rangordnung möglichst hoch zu steigen, um sich damit gleichsam den Zugriff auf Ressourcen zu sichern: heutzutage, Geld, Macht, Sex.

Irgendwann habe ich mir mal vorgenommen, nichts mehr sein zu mĂĽssen. Und habe gleichsam festgestellt, dass dieses “etwas sein wollen” mich doch immer wieder einholt. Eine Kollegin bekommt einen Position, fĂĽr die ich mich auch beworben habe. Sofort steigt in mir das Neid-Gift auf und ich finde tausend GrĂĽnde, warum ich viel besser dafĂĽr geeignet wäre, als sie. Ich habe in bestimmten Zusammenhängen plötzlich das GefĂĽhl, das meine Stimme bei mir wichtigen Personen nicht mehr soviel gilt, wie zuvor: und schon fĂĽhle ich mich ausgebootet, beneide diejenigen, die im Mittelpunkt stehen und finde natĂĽrlich zig Kritikpunkte an ihnen.
Wirklich nichts sein zu wollen, fällt mir unglaublich schwer. Ich weiß nicht, ob ich diesen Zustand der geistigen Reife jemals erreiche.
Einstweilen kann ich nur versuchen, etwas Distanz zu gewinnen, wenn mal wieder ein Gefühl des Neides in mir aufsteigt oder ich beginne, mich anderen gegenüber zu erhöhen. Cool down, könnte man auch sagen. Wenn es gelingt, kann es so etwas wie eine geistige Entgiftungskur werden.

Gütiger Gott, hilf mir, wesentlich zu werden. Hilf mir zu erkennen, wenn ich mich selbst erhöhe und mich damit vor Dir erniedrige. Gib mir die Kraft, Neid, Mißgunst und Machtstreben zu besiegen.

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